"Helden von einst" Teil XII - Frank Kurth
Frank Kurth hütete 12 Jahre lang das Essener Tor und hat wie kaum ein anderer Spieler Höhen und noch mehr Tiefen des Vereins miterlebt. Sein Jubel auf dem Nordkurvenzaun nach gewonnenen Spielen ist heute noch legendär. Er nahm sich viel Zeit, um in den Vereinsräumen des 1.FC Wülfrath über Erlebnisse und Hintergründe seiner Essener Zeit als Spieler und Trainer zu erzählen.
Jawattdenn.de:
Bei unserer Recherche sind wir auf eine Aussage von dir gestoßen, die aus der RevierSport Sonderausgabe „100 Jahre Rot-Weiss Essen“ stammt: Auf die Frage, wo du RWE im Jahre 2010 siehst, hast du geantwortet, dass RWE im Jahre 2010 hoffentlich an das Tor zur 1. Bundesliga anklopfe.
Frank Kurth:
Da sind wir ja nicht ganz so weit von weg. (lacht) Nein, das ist schon bitter, wie die letzten Jahre abgelaufen sind. Am schlimmsten waren die Momente, in denen diskutiert wurde, ob man den Laden ganz dicht machen und dann als „FC Rot Weiß Essen“ neu anfangen solle. Ich glaube, ich fühle diesbezüglich wie viele andere Fans auch: Das geht gar nicht! Das wäre nicht unser Rot-Weiss Essen, von daher bin ich sehr froh, dass es anders gekommen ist. Es war wahrscheinlich überfällig, dass es ganz tief runter gehen musste, damit auch der Letzte aufwacht. Heute hat der Verein eine relativ gute Chance, wieder nach oben zu kommen.
Jawattdenn.de:
Du hast deine Profikarriere in Düsseldorf begonnen und für die Fortuna auch ein paar Bundesligaspiele bestritten. Warum wolltest du wechseln und wie ist der Kontakt zu RWE geknüpft worden?
Frank Kurth:
Der Kontakt kam damals über Dieter Tartemann, Wolfgang Kleff und Heinz Koch zustande. Bei Fortuna wurde Jörg Schmadtke aus der Jugend hochgezogen und mein Vertrag lief aus. Kleff hatte Kontakte zu Tartemann und Koch und hat bei einer Veranstaltung erfahren, dass Essen noch einen Torwart sucht. Auf Empfehlung von Kleff sind Tartemann und Koch relativ schnell auf mich zugekommen. Das war dann „Liebe auf den ersten Blick“, die Chemie zwischen den beiden Herren und mir stimmte sofort. Von daher war es für mich keine Frage nach Essen zu wechseln, obwohl ich auch noch eine Anfrage von Rot-Weiß Oberhausen erhalten hatte, die damals im Gegensatz zu RWE in der zweiten Liga spielten.
Jawattdenn.de:
Nach den Spielen für die Fortuna kam im Laufe der Karriere kein Einsatz in der ersten Bundesliga mehr hinzu, obwohl es mal Kontakte zu Bayer Leverkusen gegeben hatte.
Frank Kurth:
Das ist der einzige Wermutstropfen. Leverkusen wäre erste Liga vom Allerfeinsten gewesen. Mein Ziel war es, nach dem Pokalfinale '94 mit Wattenscheid in die Bundesliga aufzusteigen, was sich leider nicht bewahrheitet hat. Ganz im Gegenteil, wir sind in die dritte Liga abgestiegen, obwohl wir eine richtig gute Truppe hatten. Dort ist im Prinzip das gleiche passiert wie auch in den vergangenen Jahren bei RWE.
Ich bin ein positiv denkender Mensch. Ich habe viel erreicht, viel mehr als manch anderer. Von daher bin ich mit dem, was ich erlebt und erreicht habe, absolut zufrieden. Es hat sich für mich auch die Situation ergeben, dass ich einen Verein habe, an dem ich hänge. Es wäre sicherlich schön gewesen, erste Liga zu spielen, aber Wehmut empfinde ich nicht. Es hat halt nicht sollen sein, das ist für mich kein Problem.
Jawattdenn.de:
Du warst bei RWE nach dem Wiederaufstieg in den 80er Jahren schnell Stammtorwart und neben Putsche und Willi auch Publikumsliebling. Dann gastierte Union Solingen an der Hafenstraße und gewann dank toller Paraden des damaligen Union-Keepers Volker Diergardt. Das beeindruckte die Verantwortlichen scheinbar so sehr, dass wenige Monate später Diergardt als neue Nr. 1 in Essen vorgestellt wurde. Wurde mit dir im Vorfeld darüber gesprochen oder fühltest du dich in dieser Situation degradiert? Kam eventuell sogar ein Vereinswechsel in Frage?
Frank Kurth:
Das wurde mir angeboten. Aber da kam meine Kämpfernatur durch. Der damalige Trainer Lothar Buchmann suchte auf der Busfahrt von einem Auswärtsspiel das Gespräch mit mir und sagte kurz und knapp: „Herr Kurth, für holen für die kommende Saison den Volker Diergardt. Er wird hier die absolute Nummer Eins sein und es wird keinen Konkurrenzkampf geben. Und selbst wenn sich Diergardt verletzen sollte, würde ich eher noch einen anderen Torwart kaufen, anstatt Sie ins Tor zu stellen.“ Das war eine klare Ansage, und dann kam er noch zum eigentlichen Punkt: „Aber wir können Sie im Tausch zu Union Solingen transferieren.“ Dann habe ich kurz überlegt und schließlich geantwortet: „Wissen Sie, Herr Buchmann, ich habe noch eineinhalb Jahre Vertrag und ich habe schon so viele Trainer kommen und gehen sehen. Wir gucken einfach mal, wer länger hier sein wird!“.
Nach ein paar Spielen der Folgesaison war das Kapitel Buchmann bei RWE dann beendet. Nach dem Verkauf von Volker, der bei uns – das muss ich neidlos anerkennen - eine richtig gute Saison gespielt hat, war ich wieder auf dem richtigen Weg. Ich hatte mich also nie richtig mit dem Thema befasst, da alles so spontan geschah im Mannschaftsbus. Ich war komischerweise nicht mal richtig geknickt. Ich war irgendwo stolz auf meine Antwort. Ich hatte hinterher auch noch ein relativ gutes Verhältnis zu Buchmann. Wir haben ihn mal in Mainz bei einem Zweitligaspiel getroffen, da sagte er zu mir: „Wissen Sie, Herr Kurth, Ihre Reaktion damals im Bus hat mir richtig imponiert. Ich war drauf und dran dem Verein zu sagen, dass wir den Diergardt-Transfer fallen lassen, wenn einer so sehr um seinen Platz kämpft.“ Manch anderer Trainer hätte vermutlich auch auf so eine Antwort ganz anders reagiert. Mir hat auch seine Offenheit und Ehrlichkeit imponiert. Zum Glück ist es dennoch anders gekommen als es damals geplant war.
Jawattdenn.de:
Wie wurdest du zu Beginn von den Fans aufgenommen? Viele deiner Nachfolger standen sehr schnell im Kreuzfeuer der Kritik.
Frank Kurth:
Ich war nicht von Anfang an Publikumsliebling, ich stand auch in der Kritik. Ich kam zwar nicht aus dem blau-weißen Feindesland, aber ganz so gerne gesehen ist die Fortuna in Essen ja auch nicht. Ich hatte aber den Vorteil, dass man im Jahr zuvor den Wiederaufstieg verpasst hatte. Mein Vorgänger Norbert Nigbur war aufgrund seines fortgeschrittenen Alters auch nicht mehr unumstritten und verletzte sich vor der Aufstiegsrunde. Man holte damals in der Not einen jugoslawischen Mittelfeldspieler, der sich als Torwart versuchte. Nestorovic hieß er.
Mein Vertrag für die nächste Saison war zu diesem Zeitpunkt schon klar und ich dachte mir erstmal: „Um Gottes Willen, jetzt holen sie noch einen internationalen Torwart, noch mehr Konkurrenz“. Dann habe ich mir sein erstes Aufstiegsrundenspiel angeschaut und mir war klar: Von dieser Sorte können sie auch noch zwei holen… (lacht). Von daher hatte ich am Anfang ein relativ leichtes Spiel, da die Torwartposition nicht optimal besetzt war. Später stand ich dann auch aufgrund eigener Schuld und nicht erbrachter Leistung in der Kritik. Aber ich hatte mich durchgekämpft, und das war vermutlich ein Punkt, den der RWE-Fan honoriert hat.
Jawattdenn.de:
Was betrachtest du als Highlights deiner Karriere, an welche Spiele denkst du besonders gerne zurück?
Frank Kurth:
Das erste Highlight war direkt nach meiner Verpflichtung das erste Freundschaftsspiel gegen Borussia Dortmund. Horst Hrubesch spielte noch für Dortmund. Es waren zwar nur ca. 4000 Zuschauer da, aber es war deswegen ein Highlight für mich, weil ich bei diesem Spiel erstmals Lothar kennenlernte. Er stand dann auf der Stange und das blieb bei mir hängen. Logischerweise sind das Pokalfinale und der Weg dorthin tolle Erinnerungen. Vor allem das Spiel in Jena war für mich ein Highlight. Aber auch die ersten Aufstiegsrundenspiele. Beim Spiel in Oldenburg habe ich die RWE-Fans dann auch von einer weniger schönen Seite kennengelernt. Das war auch ein bleibendes Erlebnis. Das hat sich zum Glück auch erheblich beruhigt, zu meiner Zeit war alles noch ein bisschen krasser. Und schließlich war eines meiner schönsten Spiele mein Abschiedsspiel, kurioserweise gegen Fortuna Düsseldorf.
Jawattdenn.de:
Und welche Spiele würdest du am liebsten aus der Erinnerung löschen?
Frank Kurth:
Alle Spiele, bei denen ich auf der Bank gesessen habe. Und Patzer habe ich natürlich ganz schnell wieder verdrängt (lacht). Natürlich sind mir einige Bälle durch die Hosenträger gerutscht. Besonders schlimm waren allerdings die Spiele ohne sportlichen Wert. Du bist dann quer durch die Republik gefahren und es war allen schon vorher klar, dass es niemanden mehr interessiert.
Aber auch die ersten Meisterschaftsspiele für Wattenscheid waren schlimm: Sonntag mittags, 14 Uhr in der zweiten Liga, du kamst zum Warmmachen raus und es sind gerade mal 150 Menschen im Stadion – das war bedrückend.
Jawattdenn.de:
Der Wechsel zurück nach Essen aus Wattenscheid ging zwei Jahre später recht schnell. Hätte es zu diesem Zeitpunkt auch eine andere Adresse geben können?
Frank Kurth:
Ich war im Grunde genommen nie ganz weg. Als ich nach Wattenscheid ging, hatte ich zum ersten Mal in meiner Karriere aufs Geld geschaut. Ich hatte zwei kleine Kinder und Wattenscheid war damals bezüglich Verdienstmöglichkeiten eine sehr gute Adresse. Wir hatten einen recht guten Kader mit klangvollen Namen wie Michael Preetz, Alexander Strehmel, Hans-Werner Moser, Stefan Emmerling, Marek Lesniak, Karel Kula etc. – also eigentlich eine Bombentruppe. Aber damals hat es eben im Verein nicht gepasst. Britta Steilmann und Günther Ritter kamen nicht miteinander klar, so dass es mehrere Lager im Verein gab. Alles, was ich aus Essen auch schon kannte, traf ich dann in Wattenscheid auch vor, so konnte es nicht funktionieren. Es ging stetig nach unten.
Nach dem Abstieg mit Wattenscheid habe ich auch die andere Seite des Fußballs kennengelernt und stand im Sommer 1996 plötzlich ohne Vertrag da. Ich habe mich bei verschiedenen Vereinen fit gehalten und war auch zu einem Probetraining bei Dundee United. Leider habe ich dort nicht überzeugen können, denn das wäre ein Verein gewesen, zu dem ich sofort gewechselt wäre. Das Stadion war von der Atmosphäre her einfach geil – die Hafenstraße von Schottland...
Im Oktober kam die Anfrage von RWE, weil sich Marc Petrick schwer verletzt hatte. Man hatte zwar mit Alex Ogrinc noch einen guten Torwart, aber trotzdem wollte man kein Risiko eingehen. Man hatte bei RWE ein wenig Angst: Jetzt holt man Frank Kurth zurück, wie wird Ogrinc darauf reagieren? Das hat der Alex aber richtig gut gemacht und bis zur Winterpause hervorragend gehalten. In der Winterpause hat er sich verletzt und ich durfte nach der Winterpause gegen die Stuttgarter Kickers spielen und bin nicht wieder aus dem Tor herausgenommen worden.
Jawattdenn.de:
Wie wurdest du als Rückkehrer vom Umfeld aufgenommen?
Frank Kurth:
Der Empfang war grandios! Einige junge Spieler waren dabei, die sich beim ersten Training gewundert haben: Der Parkplatz hinter der Tribüne war rappelvoll, Presse war anwesend. So etwas erlebte man sonst höchstens zum Trainingsauftakt im Sommer. Für mich war es ein Gefühl wie wenn man wieder zu Hause ist. Das war auch für mich selber ein eigenartiges Gefühl, das muss ich ehrlich sagen.
Jawattdenn.de:
Du hattest im Laufe deiner Karriere nie einen Berater engagiert und alle Verhandlungen selbst geführt. Bist du im Nachhinein froh darüber oder glaubst du, dass deine Karriere sportlich oder finanziell mit Berater womöglich noch erfolgreicher hätte verlaufen können?
Frank Kurth:
Selbst heute mache ich das nicht. Ich bin nun im fünften Jahr in Wülfrath und hatte damals hier einen Vertrag ausgehandelt. Der Präsident hat mir gesagt, was ich hier verdienen kann, und ich sagte „Komm, mach und gut ist!“. Damit will ich nicht sagen, dass mir Geld nicht wichtig ist, das wäre Quatsch. 1994 haben wir auch sehr intensiv als Spielerrat im Rahmen der Pokalspiele um die Prämien verhandelt.
Aber es war mir jetzt nicht wirklich so wichtig, ob hier und da noch ein bisschen was dranhängt. Mir war es wichtig, dass die Leute hinter mir standen. Es war allerdings eine andere Zeit. Heute ist es kaum denkbar, dass man ohne Berater verhandelt. Man muss an zahlreiche Klauseln denken und leider Gottes kann es auch sein, dass einem ein Verein über die Leisten zieht. Und selbst in der zweiten Liga geht es heute schon in die 100.000er…
Jawattdenn.de:
Apropos Geld: Ehemalige Mitspieler sprachen davon, dass es zu Oberligazeiten auch mal monatelang keine Gehälter gab. Du warst Familienvater, wie steht man so eine Zeit durch?
Frank Kurth:
Ich habe den Vorteil, dass sowohl meine Frau als auch ich sehr bodenständig sind. Ich muss keine Designerklamotten oder teure Uhren tragen, ich muss keine teuren Autos fahren – unser Denken ist sehr zweckmäßig. Damit will ich nicht sagen, dass ich geizig bin, ich habe mein Geld dann lieber für´s Feiern ausgegeben – das hat mir mehr Spaß gemacht als mit einem teuren Auto durch die Gegend zu fahren. Unsere Bodenständigkeit hat uns also geholfen, in der damals wirklich schwierigen Zeit, als wir ein halbes Jahr lang auf zugesagte Prämien und Teile des Grundgehaltes verzichten mussten.
Ich muss allerdings sagen, dass ich bei RWE immer alles zu 100% bekommen habe, wenn auch teilweise mit Verspätung. Die Leute waren aber so korrekt, dass am Ende alles auf Heller und Pfennig ausgezahlt wurde. Das war mein großes Glück und dazu eine Frau, die nicht dem Typus „Spielerfrau“ entspricht, wie man ihn heute häufiger kennenlernt: Hauptsache shoppen gehen, der Rest ist egal. Wir kamen immer mit dem Geld klar, das reinkam.
Jawattdenn.de:
Welche Mitspieler aus deiner Essener Zeit waren die größten Spaß- oder Paradiesvögel in der Kabine?
Frank Kurth:
In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Name Olli Grein, vor allem aufgrund seiner Märchen. Inzwischen weiß jeder, dass er mindestens drei Omas hat. Immer wenn er nicht zum Training kommen konnte, war wieder eine Oma verstorben. Damit sollte man eigentlich nicht spaßen, aber Olli hatte eben immer mal wieder zwischendurch eine Ausrede parat.
Mario Basler war natürlich auch ein „komischer Vogel“, weil er zum damaligen Zeitpunkt sehr unsolide gelebt hat. Schon damals hatte er den großen Durst. Wir haben viel gelacht, aber einen echten „Pausenclown“ hatten wir im Grunde nicht dabei.
Jawattdenn.de:
Unter welchem Trainer hast du am liebsten trainiert?
Frank Kurth:
Unter Jürgen Röber. Das denken auch viele meiner damaligen Weggefährten. Es hat mir absolut imponiert, wie er den Dreh vom Spieler zum Trainer hinbekommen hat. Nach dem Lizenzentzug hatte er zunächst nur 12 oder 13 Spieler zur Verfügung. Ich selbst hatte zuvor eine richtig gute Zweitligasaison gespielt und mein Vertrag lief aus. Mein Jüngster war gerade ein halbes Jahr alt und der Vorstand beruhigte mich, dass man sich bestimmt auf einen neuen Vertrag einigen können. Ich habe dann mit Jürgen Röber gesprochen, aber er konnte mir nicht sagen, wie viel ich verdienen würde. Er sagte: „Im Augenblick ist hier alles ein Torso, ich kann dich nur fragen, ob du mitmachen möchtest.“ So haben wir angefangen.
Die erste Trainingseinheiten fanden mit 14 Spielern statt, darunter mit Schneider und einem der Wißel-Brüder zwei Landesligaspieler. Dann kamen sukzessive noch ein paar "Altinternationale" wie Roman Geschlecht, der bei uns nochmal ein paar richtig gute Jahre hatte. Jürgen war richtig besessen von Fußball und ehrgeizig. Ich erinnere mich an einen Urlaub in Österreich, er war oben in Obergurgel, meine Familie und ich in einer kleinen Pension unten in Sölden. Wir hatten uns dann getroffen und sind zusammen Ski gefahren.
Nachmittags saßen wir zusammen mit unseren Familien am Tisch und haben Kaffee getrunken. Dann sagte der Jürgen: "Ich muss jetzt was tun". Ich schaute meine Frau an, ich schaute Jürgens Frau an und wusste genau, was nun kommen sollte: Er stand auf, zog seine Skischuhe aus und ging ins nächste Geschäft um sich Laufschuhe zu kaufen, obwohl er wahrscheinlich 35 Paare zu Hause stehen hatte. Er ist dann von Sölden bis Obergurgel im Skianzug gelaufen. Und das steckte einen an. Manche nervt das, aber mich steckte das an. Du warst dann bereit, noch eine Schippe draufzulegen, weil Röber das vorlebte. Das hat ihn zu dem gemacht, was ihn zumindest zu unserer Zeit als Trainer ausgemacht hat.
Leider Gottes hatte er sich hinterher, als die große Karriere startete, ein wenig gewandelt und wohl auch ein wenig die Bodenhaftung verloren. Deswegen wäre es auch sehr schwierig gewesen, ihn später wieder an der Hafenstraße zu installieren.
Aber Röber schaffte es, bei mir die Begeisterung wieder zurückzubringen, die mich an meine ebenfalls sehr schöne erste Zeit in Essen unter Dieter Tartemann erinnerte: Wir waren damals nach jedem Spiel beim Italiener in Bergeborbeck. Das war eine andere Zeit, auch nach Auswärtsspielen waren wir dort, die Frauen waren meistens mit. Sie fuhren dann gegen 23 Uhr nach Hause, während wir irgendwann in der Nacht mit dem Taxi nach Hause fuhren. Und es waren alle da, das hat richtig Spaß gemacht. Montagmorgen ging es dann mit dem Training weiter. Wir hatten eine prima Truppe mit tollem Zusammenhalt.
Dieter Tartemann hatte das damals auch gefördert. Viele Jahre später in der Oberliga hatten wir ihn ja nochmal als Trainer, aber da war er nicht mehr der Dieter Tartemann, den ich aus meiner Anfangszeit kannte. Da war ich auch ein wenig wehmütig.
Aber im ersten Jahr: Wenn jemand sagte, dass Christoph Daum motivieren kann, dann kannte er den Dieter Tartemann von früher nicht - und alles mit relativ einfachen Trainingsmethoden: Es gab Trainingsspiele "Nordkorea gegen Südkorea", dann ging im Training auch wirklich die Post ab und es hat sich keiner geschont.
Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, als Dieter in meinem ersten Jahr vor dem Spiel gegen Viktoria Goch in der Kabine stand, während der damalige Vorstand dem Trainer ein wenig an den Kragen wollte. Er hatte im Hinterkopf, dass er bei einer Niederlage wohl entlassen werden würde, aber er wollte das vor der Mannschaft, die "sein Kind" war, nicht zeigen. Irgendwann schossen ihm dann ein paar Tränen in die Augen und er drehte sich ab. Keiner hat mehr ein Wort gesagt. Wir haben die Sitzung sofort beendet, sind auf den Platz gegangen und haben Goch mit 6:1 weggefegt. Anschließend war wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Solche Situationen haben die Gemeinschaft geprägt und Tartemann hatte es vorgelebt.
Ein paar Wochen danach hatten wir auf Kreispokalebene mit 1:0 auf Asche bei der Tgd Essen-West verloren. Tartemann war so sauer, dass er uns eine Woche nur hat laufen lassen und kein Wort mit uns gesprochen hat. Beim nächsten Spiel waren wir so motiviert, dass wir wieder klar gewonnen haben. Ich glaube, heute ist es mit solch banalen Mitteln kaum noch machbar, eine Mannschaft zu motivieren. Die Spieler der heutigen Generation würden sich denken "Was will der Alte eigentlich?". Aber für uns war es eine persönliche Beleidigung, wenn der Trainer mit uns nicht gesprochen hat und das hat das Letzte aus uns herausgekitzelt.
Nach Tartemann wurde Horst Hrubesch Trainer, aber er war nicht unbedingt der gesellige Typ. Er war ein toller Mensch, ehrlich und aufrichtig, aber er war eben kein Partyhengst und hat das Kameradschaftliche nicht gefördert. Er hatte vermutlich immer noch Ernst Happel aus seiner Hamburger Zeit vor Augen und wollte ihn ein wenig kopieren. Tartemann und Röber waren letztlich die beiden Trainer, die für mich am prägendsten waren.
Jawattdenn.de:
Hast du selbst von deinen früheren Trainern Eigenschaften adaptiert oder Methoden übernommen?
Frank Kurth:
Methoden von damals übernehmen kann man im Grunde nicht, denn der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark gewandelt. Ich habe hinterher noch eine Zeit lang die Zweite von Rot-Weiss trainiert und wenn ich die Burschen von damals mit Spielern von heute vergleiche, dann ist das ganz offensichtlich eine andere Generation.
Heutzutage ist es teilweise haarsträubend und aberwitzig, auf was für Gedanken die jungen Spieler kommen. Deswegen kann man Trainingsprogramm und Ideen von früher kaum übernehmen. Man muss schon seinen eigenen Weg finden, man wandelt sich auch im Laufe der Zeit und besucht Schulungen und Fortbildungen. Was man aber auf der anderen Seite schon machen kann, ist ein paar negative Dinge nicht zu übernehmen: zum Beispiel zweistündige Mannschaftssitzungen wie unter Wolfgang Frank, bei denen einem die Augen zugefallen sind. Oder alles schön zu reden wie es Dieter Brei gemacht hat: Wir verloren 0:6 in Kaiserslautern, aber Brei betonte, dass wir 80% Spielanteile hatten. Das sind Aktionen, die würde ich nicht unbedingt als Trainer machen.
Jawattdenn.de:
Hier in Wülfrath läuft auch nicht immer alles wie gewünscht, auch in der Verbandsliga gibt nicht jeder Spieler alles. Zuletzt musstest du auch ein wenig härter auf den Tisch hauen, zum Beispiel nach der Niederlage beim Schlusslicht VfR Fischeln. Trotzdem ist die Halbwertszeit eines Trainers schon längst überschritten, vier Jahre bei demselben Verein zu trainieren ist durchaus selten. Dafür braucht man Rückhalt im Vorstand, gerade in sportlich schwachen Phasen wie zuletzt.
Frank Kurth:
Ja, diesen Rückhalt habe ich hier - auch wenn unser Präsident ein Wuppertaler ist, das muss ich ehrlich sagen. Er ist sogar Vereinsmitglied beim WSV und wir verstehen uns trotzdem sehr gut (lacht). Wir haben die gleiche Philosophie, auch wenn wir nicht zur gleichen Generation gehören. Es macht mir deshalb sehr viel Spaß hier zu arbeiten und ich gehe im Sommer ins fünfte Jahr.
Die "Halbwertszeit" war auch ein entscheidender Punkt, weshalb ich als Trainer bei RWE aufhörte. OK, vermutlich hätte man mich auch sowieso nicht weiter verpflichten wollen. Bis auf Jürgen Klopp, der sich im Moment alles erlauben und notfalls auch betrunken durch Dortmund laufen kann, musst du als Trainer auf so viele Dinge Rücksicht nehmen und aufpassen, was du tust und sagst. Das ist im Bereich der fünften, sechsten Liga noch machbar, aber im Profibereich mit Sicherheit nicht. Auch bei einem Verein wie Rot-Weiss Essen, der ein so großes Fanpotenzial hat, ist das problematisch.
Damals gab es die folgende kuriose Situation: Ich hatte die zweite Mannschaft trainiert als die Anfrage des Vorstandes bezüglich der Übernahme des Traineramtes für die 1. Mannschaft kam. Aber damals wie heute stand ich mit beiden Füßen im Arbeitsleben und hätte nicht ohne Weiteres einen Regionalligisten unter Vollprofitum trainieren können. Meine Firma hat mich aber - und da muss ich sagen, Hut ab! - für zehn Wochen freigestellt, so dass ich als Trainer fungieren konnte. In diesen zehn Wochen habe ich allerdings gesehen, dass ein höherklassiges Traineramt nicht das ist, was ich möchte.
Das fing schon mit meiner ersten Pressekonferenz für RWE an: Ich bin ein ehrgeiziger Mensch, und nur "Herumkaspern" und Beinschüsse bei einem Spiel ist nicht meine Welt. Auch wenn wir uns mit der RWE-Traditionsmannschaft treffen, sollte man ein wenig Ernsthaftigkeit zeigen, wenn man diesen Sport betreibt. Auf Basis dieser Einstellung habe ich auf der Pressekonferenz die Aussage getätigt, dass ich der Mannschaft vermitteln möchte, jedes Spiel gewinnen zu wollen. Ein Journalist sagte daraufhin: "Wenn sie ab jetzt jedes Spiel gewinnen, werden sie noch Meister!". Und ich antwortete: "Auch wenn es Phantasterei ist: Wenn wir am Ende wirklich Meister werden sollten, hätte ich auch nichts dagegen!"
Am nächsten Morgen lese ich dann die Schlagzeile in der Zeitung: "Frank Kurth will mit RWE noch Meister werden!" Da war für mich zum ersten Mal klar, wenn du Interviews gibst und keine Medienberater hast oder Medienprofi bist, dann bist du verloren. Man beklagt sich zwar, dass es immer weniger "echte Typen" gibt, die ab und zu mal einen lockeren Spruch raushauen. Aber wenn man solche Medienvertreter hat, die nur darauf lauern, wie man dem Interviewten einen reindrücken kann, ist das nicht überraschend.
Jawattdenn.de:
Deine Trainerzeit endete mit dem Last-Minute-Sieg in Braunschweig. Der Jubel über den Klassenerhalt verstummte aber im Laufe des Abends, da die Probleme bezüglich der Lizenzerteilung bekannt wurden. Abends versammelten sich einige Fans an der Hafenstraße, um ihren Unmut zu bekunden. Man traf dort dich und einige Spieler der Zwoten beim Grillen hinter der Nordtribüne an. Dort hast du ein wenig genervt und gereizt reagiert, hat sich in diesem Augenblick der gesammelte Frust aus der kurzen Zeit als Trainer einer Profimannschaft entladen?
Frank Kurth:
Ja, ich hatte meine freie Zeit noch regelmäßig mit den Spielern der zweiten Mannschaft verbracht und an diesem besagten Sonntag nach dem Braunschweig-Spiel hatten wir dort auf dem Vereinsgelände mal etwas Ruhe gefunden. Dann erschienen einige aufgebrachte Fans, die eindeutige Informationen haben wollten. Ich sagte, dass wir auch keine Informationen haben und selbst nicht wissen, was Sache ist. Und das haben die Anhänger nicht begriffen und keine Ruhe gegeben. Dann entlud sich der Frust. Das verursachte aber nicht nur die negativen Erfahrungen mit der Presse, auch vereinsintern verlief nicht alles harmonisch.
Nico Schäfer installierte im Laufe der Saison den Michael Scheike als sportlichen Leiter - und der pfuschte mir ins Handwerk. Es ging ja dann so weit, dass mich auf der Rückfahrt aus Berlin ein Journalist anrief, der mit dem Verein und mit Rolf Hempelmann befreundet war. Er hat mich ein wenig interviewt, weil er mitbekommen hatte, dass mich Scheike in Berlin vor dem Spiel ein wenig "herausgedrängt" hat und schließlich sogar die Mannschaftssitzung geleitet. Um den Erfolg nicht zu gefährden wollte ich allerdings kein großes Aufhebens darum machen.
Schon nachts im Mannschaftshotel liefen Spieler aufgebracht herum und es gab eine kleine Revolte, vorneweg Andy Winkler, der rief: "Unter Scheike spiele ich nicht mehr!" Dallas und Denver waren langweilig dagegen. Ich fragte mich "Wo bist du hier? Das kann nicht wahr sein!". An diesem Punkt war für mich klar, dass ich nicht weiter machen werde. Das ist nicht meine Welt, Punkt, Aus, Ende! Das sagte ich auch dem Journalisten, der diese Information aber nicht für sich verwendet hat, sondern den Rolf Hempelmann anrief und ihn über meine Entscheidung informierte. Hempelmann wiederum rief mich zurück und versuchte mich umzustimmen: "Mach´keinen Scheiß, lass uns jetzt bitte nicht im Stich!" Ich sagte, dass nicht ich dem Verein im Stich lasse, sondern umgekehrt: "Ihr setzt mir hier jemanden vor die Nase, der geht gar nicht." Ich betonte dann, dass entweder ich bleibe oder er. Den Fehler mit Scheike hat man dann relativ schnell erkannt und ihn wieder entlassen. Wir hatten ja leider Gottes einige Kadetten, die den Verein Stück für Stück nach unten führten.
Mit diesen Ereignissen im Hinterkopf kam es dann zur besagten Situation hinter der Nordtribüne. Ich hatte wirklich keinerlei Informationen und die Fans, die um uns herum standen, begriffen das nicht und dann kam eines auf das andere. Da hat man am Ende etwas heftiger reagiert als man reagieren sollte.
Jawattdenn.de:
Daraus kann man vermutlich schließen, dass du keine Ambitionen hast, irgendwann mal wieder einen höherklassigen Verein zu trainieren?
Frank Kurth:
Ja! Eine Liga höher geht vielleicht noch, das würde mir noch Spaß machen. Ich könnte mir auch vorstellen, im Leistungs-Jugendbereich zu trainieren. Zum Beispiel die für die Jugend eines Bundesligisten, also mit jungen Talenten zu arbeiten, das würde mir auch Spaß machen. Im Leistungsbereich Regionalliga, Dritte oder Zweite Liga - in diese Richtung habe ich keine Ambitionen. Das wäre zudem ein Fulltime-Job, da ist mir das Familienleben mittlerweile wichtiger.
In der Niederrheinliga ist es wesentlich einfacher. Ich habe drei Trainer, die mich regelmäßig mit Informationen versorgen und mache mir nicht mehr den Stress, quer durch den Niederrhein zu fahren und Gegner zu beobachten. Meine Jungs interessiert das sowieso kaum, sie gehen sich freitags einen trinken. Da kann man nur hoffen, dass es sonntags einigermaßen läuft.
Jawattdenn.de:
Ganz ohne Fußball geht es aber auch nicht, oder?
Frank Kurth:
Es ist schon weniger geworden, aber ganz ohne geht es nicht. Fußball war immer mein Leben. Ich habe nicht nur Fußball gespielt um Geld zu verdienen, sondern weil mir Fußball Spaß gemacht hat. Fußball ist nach wie vor mein Ein und Alles, ich habe ihn allerdings kanalisiert, so wie er mir gefällt. Ich muss nicht mehr jedes Champions-League-Spiel anschauen, oder andere Spiele, mit denen man "zugepflastert" wird. Montag Zweite Liga, Dienstag und Mittwoch Champions-League, Donnerstag Europa-League und Freitag geht schon wieder die Bundesliga los - das muss ich nicht haben. Ich schaue mir gerne mal ein Bundesligaspiel live an und habe das große Glück, dass ich mit einem unserer Lieferanten zusammenarbeiten konnte, der in Hamburg sitzt. Er hat regelmäßig Freikarten für St. Pauli, dort habe ich in dieser Saison drei Spiele gegen Köln, Dortmund und Gladbach gesehen. Das ist Fußball pur, das macht Spaß.
Jawattdenn.de:
Wann hast du das letzte Mal ein Spiel an der Hafenstraße gesehen?
Frank Kurth:
Das war in der vergangenen Saison. In dieser habe ich noch kein Spiel gesehen, da seit dem Abstieg RWE meist parallel spielt. Da wir nur drei Mal in der Woche trainieren und ich auch regelmäßig beruflich unterwegs bin, kann ich leider Gottes auch nicht hin, wenn RWE Freitagabends spielt, da wir dann unser Abschlusstraining haben. Deswegen hoffe ich einfach, dass RWE in der nächsten Saison in der Regionalliga wieder häufiger samstags spielt, dann kann ich auch mal wieder hinfahren.
Jawattdenn.de:
Siehst du für den Verein RWE eine Perspektive nach oben trotz der schwierigen Aufstiegsmöglichkeit?
Frank Kurth:
Zunachst einmal finde ich den Weg korrekt, den der Verein gerade geht. Mittelfristig - und ich betone mittelfristig - habe ich die Hoffnung, dass der Verein die Mannschaft so weit verstärken kann, dass der Sprung in die Dritte Liga gelingt oder vielleicht durch eine weitere Reform der Verein "hochgeschwemmt" wird. Es ist natürlich ein Ärgernis für den Verein, dass so viele zweite Mannschaften in der Regionalliga mitspielen, die sportlich sehr schwierig zu spielen und darüber hinaus wirtschaftlich uninteressant sind.
Ich glaube einfach, wenn man den eingeschlagenen Weg beibehält und mit den Mitteln, die man hat, die Mannschaft sukzessive verstärkt, dann hat der Verein eine große Zukunft. Ich hege sehr viele Hoffnungen in Michael Welling. Ich habe mich mehrmals mit ihm unterhalten dürfen und er hat mir aus der Seele gesprochen. Wir haben damals gerne und gutes Geld verdient zu den 94er Zeiten.
Ich weiß noch, dass mich damals der Präsident vom MSV Duisburg an die Wedau holen wollte, der MSV spielte damals Erste Liga mit Ewald Lienen als Trainer. Der Präsident hat mich dann während einer Verhandlung gefragt, was der Verein RWE eigentlich dafür gezahlt hatte, dass wir den MSV aus dem Pokal geworfen haben. Ich hatte ihm eine Summe genannt, die auch stimmte, und er sagte: "Dann weiß ich auch, warum ihr pleite seid, wie kann man nur so bekloppt sein"? Und damit hatte er Recht! Klar hatten wir damals kräftig mit Wolfgang Arnold verhandelt - hier musste noch ein Hunderter drauf, dort muss noch was hinzukommen -, aber was der Verein letztendlich verpulvert hatte, war wirklich unglaublich.
Viele Jahre später habe ich bei einem Heimspiel gegen Schalke II mit jemandem gesprochen, der gerade in den Verwaltungsrat kam. Wir saßen im VIP-Raum am Tisch und er sagte: "Ja, wir sind nun neu im Verein und wir müssen erstmal ausloten ... " Ich unterbrach ihn und erwiderte: "Guter Mann, ich kenne den Verein schon viele, viele Jahre und diesen Spruch haben wir schon unzählige Male gehört. Wenn ihr fertig seid mit dem Ausloten, dann ist schon wieder viel Geld den Bach heruntergegangen. Ihr müsst jetzt handeln! Zum Beispiel, indem wir alles, was wir gerade hier verzehren, selbst bezahlen." Er guckte mich fragend an und ich ergänzte: "Wir sitzen hier mit Geschäftspartnern, mit der kompletten Traditionsmannschaft und Familienangehörigen - das sind locker 60 Leute, die frei Essen und Trinken dürfen. Wer soll das bezahlen?" Damit fängt es doch an! Eigentlich müsste jede Eintrittskarte bezahlt werden, wenn es dem Verein nicht gut geht. Monate später habe ich gelesen, dass den Spielern die freien Getränke nach dem Spiel gestrichen wurden. Da war es allerdings schon zu spät.
Man kann ja gerne 1000 Freikarten verteilen und im VIP-Raum Kaviar servieren - wenn Geld da ist! Aber in schwierigen Zeiten muss man an diesen Stellen beginnen zu sparen. Das hat mir in den 90ern schon gefehlt: Wir sind mit einem Riesenaufwand zum Pokalfinale nach Berlin gefahren, sogar die Spielerfrauen wurden auf Vereinskosten nach Berlin gefahren. Das kannten wir vorher nicht. Man hätte so viel Geld für den Verein sparen können, wenn wir wie zu jedem anderen Spiel gefahren wären.
Klar, als Spieler haben wir das genossen und teilweise sogar eingefordert. Wenn ich aber heute im Vorstand sitzen würde, dann sähe ich keinen Grund, die Frauen der Spieler nach Berlin zu bringen. Hier in Wülfrath ist unser 1. Vorsitzender Michael Massenberg in diesem Punkt konsequent: In das Stadion kommen nur Spieler, Trainer und die Vereinsoffiziellen rein, ansonsten zahlt jeder Besucher Eintritt. Er sagt: Der Spieler erhält hier Geld, weshalb soll ich dem Vater dann Karten schenken?" Und dieses Denken hat auch Michael Welling, das habe ich in meinen Gesprächen mit ihm festgestellt. Ich hoffe, er behält es bei, denn dann ist er mit ein bisschen Glück auf einem guten Weg.
Jawattdenn.de:
Hoffnung auf eine positive Zukunft macht neben Michael Welling auch das neue Stadion. Inwiefern ist neben der Vorfreude auf die neue moderne Heimat auch Wehmut darüber im Spiel, dass "dein" Zaun vor der Gegengerade abgerissen wird bzw. zum Teil schon abgerissen wurde?
Frank Kurth:
Also der abgerissene Teil steht nicht bei mir im Garten (lacht). Ansonsten gehört ein solcher Wechsel einfach dazu. Das hat Schalke beispielsweise schon zweimal gehabt mit der Glückaufkampfbahn und dem Parkstadion. Es ist mit Sicherheit Wehmut dabei, aber es ist für mich das kleinere Übel. Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn man vor einem Jahr den Verein hätte neu gründen müssen.
Jawattdenn.de:
Im Gespräch mit ehemaligen Spielern wird immer wieder beklagt, dass der Verein die Ehemaligen nicht hinreichend in die Vereinsarbeit einbindet. Siehst du das auch so?
Frank Kurth:
Ganz ehrlich - die sollen nicht solch einen Blödsinn erzählen. Wenn ich heute den Herrn Welling oder Jamro anrufen und fragen würde, ob ich mitarbeiten darf, dann wären sie die letzten, die das ablehnen würden. Aber, dann kommt der Nachsatz, den die Ehemaligen nicht erzählen: Sie wollen auch Geld verdienen! Damit fängt es doch an. Sicherlich gibt es mit Helmig oder Margref ehemalige Rot-Weisse, die im Amateurbereich arbeiten und denen man sicherlich erfolgreiche Arbeit zutrauen kann. Aber alle anderen?
Ich möchte niemandem auf die Füße treten, aber nur weil ich ehemaliger RWE-Spieler bin und irgendwann mal Profifußballer war, bin ich noch lange kein Experte. Ich selbst könnte nicht von jetzt auf gleich die A-Jugend von RWE übernehmen oder Tipps geben, wen man verpflichten müsse. Haben zum Beispiel Frank Mill, Willi Lippens oder Manni Burgsmüller schon mal irgendwo erfolgreich im Management gearbeitet?
Jawattdenn.de:
Das kommt noch hinzu. Viele wollen nicht nur Geld verdienen, sondern auch bestimmte Posten im Verein innehaben...
Frank Kurth:
Eben. Ich glaube, RWE ist auf einem guten Wege und man bindet Stück für Stück immer mal wieder jemanden ein. Zum Beispiel führt Dieter Bast die Traditionsmannschaft und er ist immer mal wieder im Gespräch für andere Aufgaben. Das finde ich auch in Ordnung. Jeder Ehemalige sollte sich erstmal seine eigene Vita anlesen, bevor die sich anbieten.
Jawattdenn.de:
Manfred Burgsmüller behauptete, Sponsoren in der Hinterhand zu haben und man habe ihn von der Geschäftsstelle wieder nach Hause geschickt. Auch Willi Lippens hatte angeblich Sponsoren angeboten...
Frank Kurth:
Dann soll er sie bringen! Das kann mir doch keiner erzählen, wenn sie Sponsoren und ein Herz für den Verein haben, dann sollen sie mich ansprechen und ich knüpfe die Kontakte zu Rot-Weiss. Dann fahre ich mit den Sponsor zur Hafenstraße und sage: "Herr Jamro, das ist der Herr XY und er möchte hier Sponsor werden!" Wo ist das Problem? Dafür muss ich keinen Posten im Verein haben.
Burgsmüller hat vielleicht vorher erstmal seinen Provisionsvertrag auf den Tresen gelegt und die Provision muss fließen, bevor der Investor einsteigt... Also, die Jungs sollen einfach die Sponsoren bringen und wenn dem so ist, kann sich der Verein auch erkenntlich zeigen. Alles andere ist "Pillepalle". Und auf ehrenamtlicher Basis wird mit Sicherheit kein Ehemaliger abgelehnt. Wir haben in der Traditionself auch darüber gesprochen, im Prinzip sollte man schon überlegen, den einen oder anderen einzubinden. Ich halte Jürgen Margref für sehr fähig, auch einen "Putsche". Er hat eine Fußballschule und viele Kontakte in Essen durch seine ESPO-Arbeit. Die beiden könnte man mit Sicherheit im Amateur- oder Jugendbereich einsetzen. Bisher hat sich wohl auch noch keine Gelegenheit ergeben, was wohl auch am häufigen Wechsel der Führungskräfte bei RWE liegt: Kaum, dass sie einige Ehemalige kennengelernt haben, sind sie auch schon wieder weg (lacht).
Jawattdenn.de:
In der Verbandsliga Niederrhein gibt es auf der einen Seite Vereine wie den KFC Uerdingen, der nahezu unter Vollprofibedingungen arbeitet, und auf der anderen Seite kleine Vereine wie Wülfrath oder die "Casting-Truppe" von RWE, die sich aus unterklassigen Spielern zusammensetzt. Sind die Niveauunterschiede innerhalb dieser Liga größer als in anderen Ligen?
Frank Kurth:
Auf jeden Fall. In der Oberliga NRW gibt es natürlich auch Leistungsunterschiede, aber nicht in dieser Deutlichkeit. Die Landesliga ist dagegen schon eine lokale Liga, dort gehen die Vereine mit nahezu gleichen Voraussetzungen ins Rennen. Es gibt zwar immer mal wieder eine Mannschaft, die ein bisschen besser ausgestattet ist, aber das macht den Kohl auch nicht fett. In der Verbandsliga ist es sehr krass, da wir drei Mannschaften in der Liga haben, die mit aller Macht hoch wollen.
Jawattdenn.de:
Hast du noch Hoffnung, dass sich die zweite Mannschaft von RWE über die Relegation retten kann?
Frank Kurth:
Ja, ich will es hoffen. Ein Abstieg wäre für den kompletten Jugendbereich von uns absolut bitter. Aber auch hier muss man Ruhe bewahren: Vor genau einem Jahr war man dem Exitus nahe, da kann man jetzt auch nicht zehn Schritte auf einmal machen. Deshalb finde ich gut, dass man jetzt nicht verrückt gespielt hat, um die Mannschaft in der Liga zu halten. Das zeigt mir, dass man auf dem richtigen Weg ist.
Jawattdenn.de:
Lange Zeit sah es für die Zweite gar nicht schlecht es. Der Einbruch kam überraschenderweise, als verstärkt Spieler der ersten Mannschaft eingesetzt wurden. Zuletzt waren stets vier bis sechs Spieler von "oben" dabei, darunter mit Lenz und Avci auch Leistungsträger...
Frank Kurth:
Das ist genau die Problematik, die es auch schon zu meiner Zeit gab. Als Trainer der zweiten Mannschaft habe ich auch Spieler aus der Ersten einsetzen müssen. Ich war nie ein Verfechter davon, denn ich habe gesehen, dass diese Spieler nie eine Verstärkung waren. Gerade auf diesen Jungs liegt dann ein unheimlicher Leistungsdruck. Dann ist die Frage, ob die Spieler damit umgehen können?
Igor Denysiuk war einer, der immer "Knallgas" gegeben hatte, egal für welche Mannschaft er spielte. Olli Hirschlein ebenfalls. Er hat bei uns hinten auf dem Ascheplatz gegrätscht, das war ihm egal. Aber viele Spieler agieren eher lustlos und das ist natürlich ein Problem. Man muss sich wirklich Gedanken machen, ob man so einen Weg mit mehreren Spielern von oben wirklich gehen möchte. Ich habe 18 - 20 Spieler im Kader der zweiten Mannschaft, plane für das nächste Spiel mit 16 Spielern und plötzlich kommen vier Mann vom Kader der ersten Mannschaft hinzu. Ich muss dann also acht Spieler aus meinem Kader auf die Tribüne schicken. Ich würde für Vereine, die profimäßig arbeiten, Nachwuchsrunden einrichten, mit festen Plänen für den Einsatz von A-Jugendspielern oder Rekonvaleszenten. Dann haben sie Spielpraxis gegen vernünftige Gegner und Wettkampfpraxis.
Die Zweite Mannschaft habe ich in dieser Saison nur zweimal gegen uns gesehen, da haben sie zweimal sehr gut gespielt. Deswegen wundert es mich, dass man dermaßen runtergerutscht ist. Das ist schade und traurig.
Jawattdenn.de:
Wie sehen die mittelfristigen Ziele in Wülfrath aus: Ist die sechste Klasse das, was hier maximal möglich ist?
Frank Kurth:
Ja, die Liga ist das maximale, das der Verein kann. Im nächsten Jahr gibt es dann auch hier die Reform, durch die die Verbandsliga quasi wegfallen wird. Wir wollen die Qualifikation für die neue Oberliga schaffen, weil die Oberliga dann auch sehr lokal ist. Das kann der Verein. Michael Massenberg ist auch niemand, der große Luftschlösser baut, sondern arbeitet im Rahmen des Möglichen.
Jawattdenn.de:
Gerade an der Hafenstraße wird unheimlich kritisch mit Torhütern umgegangen. Gute Torhüter wie Sejna, Wulnikowski, Langerbein oder Zaza sind bei den Fans durchs Raster gefallen. Ist es bei RWE schlimmer für einen Torwart als woanders?
Frank Kurth:
Das weiß ich nicht. Wenn man mal schaut, wie viele ehemalige Essener Keeper heute noch im Kicker auftauchen, dann ist das schon bemerkenswert. Da sind richtig gute Leute dabei. Leider hat es schon lange nicht mehr den Fall gegeben, dass ein Torwart viele Jahre in Essen gespielt und dort seine Karriere beendet hat. Früher waren mit Bockholt oder Blasey auch Durchschnittstorhüter jahrelang beim Verein.
Jawattdenn.de:
Jeder redet bis heute noch von deinen Sprüngen auf den Zaun. Ist es heute für Profifußballer noch möglich, eine echte Bindung zum Publikum aufzubauen?
Frank Kurth:
Ich denke schon. Das sieht man zum Beispiel bei Manuel Neuer und Dedé. Für Neuer war es die absolut richtige Entscheidung, nach München zu wechseln, wenn er sich weiter entwicklen möchte. Ich denke, seine Tränen waren echt, aber man kann nicht jedes Mal auf sein Herz hören. Und Bayern ist bezüglich einer Bindung ein besonderer Verein. Ich kenne keinen anderen Proficlub, der so viele Ehemalige in die Vereinsarbeit eingebunden hat.
Es ist also möglich. Ich glaube es ist mehr typenbedingt und hat nichts mit Legionärstum zu tun. Damals kam zum Beispiel Alexander Strehmel, ein Halbamerikaner, aus Stuttgart nach Wattenscheid. Er sagte mir, dass er mit der Mentalität der Menschen im Ruhrgebiet einfach nicht klar kommt. Es hatte nichts damit zu tun, dass er hier mehr Geld als in Stuttgart verdienen konnte. Es muss einfach passen. In Dortmund sieht man gerade, dass Vieles möglich ist, wenn Spieler mit dem Verein aufwachsen und groß werden. Auch ein Bastian Schweinsteiger hat bestimmt eine gewisse Identifikation mit dem FC Bayern.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führten Hendrik Stürznickel und Michael Jaskolla im Mai 2011
Bilder: rwe-autogramme-fm.de und Reviersport.de