Interview mit Trainer Heiko Bonan

veröffentlicht am 01.01.1970 um 00:00 Uhr

 
 
Jawattdenn.de: Nach dem schwachen Saisonstart kam schnell Unruhe auf. Es wurde schnell Ihre Entlassung gefordert und schon über den Nachfolger spekuliert. Kam diese Reaktion überraschend für Sie?

Heiko BonanHeiko Bonan: Zum Teil ist es nachvollziehbar. Wenn du nach fünf Spieltagen zwei Punkte geholt hast, brauchst du dich nicht wundern.
Andersherum konnte ich manches auch nicht verstehen. Als ich angetreten bin gab es in der Öffentlichkeit mehrere Forderungen: Wir wollen keine alte, sondern eine junge Mannschaft haben; Wir wollen keine Millionentruppe, sondern eine hungrige Mannschaft haben; Wir wollen einen anderen Fußball sehen. Dass das alles nicht vom ersten Tag an funktionieren kann sollte klar sein - wo leben wir denn eigentlich!?

Olaf Janßen fing im Sommer die Gespräche über den Kader mit mir an, da hatten wir drei Spieler. Wir mussten innerhalb von mehr oder weniger zweieinhalb Wochen zwanzig Transfers realisieren. Das war zumindest die Zielstellung. Aber Spieler, die bezahlbar und gut sind, wachsen nicht auf Bäumen. Machen wir uns nichts vor, Ende Mai, Anfang Juni sind die Besten unter Vertrag. Und da mussten wir anfangen zu puzzlen und haben auf die Fresse gekriegt.
Wir haben auf die Fresse bekommen für die Verpflichtung von Sören Brandy, der in Kiel kaum ein Spiel gemacht hat. Dass er einer der schnellsten Spieler der Liga ist, hat aber mittlerweile wohl jeder gesehen.

Dass ein Czysczcon, den wir aus der Oberliga in Bochum geholt haben, seine Qualitäten, sicherlich auch seine Schwächen, hat, hat sich auch gezeigt.

Dann hieß es in kürzester Zeit aus diesem zusammen gewürfelten Haufen eine Mannschaft zu machen. Dieser Haufen musste dann gegen Oberhausen spielen, wo jeder hoffte, dass der Weg jetzt direkt nach oben ginge. Und da gab es direkt eine Klatsche.

In der Rückschau betrachet hat Oberhausen die ersten 35 Minuten gar nicht mitgespielt, und spielte dann einen Konter zum 0:1. Da fiel diese junge Mannschaft, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stabil sein konnte, zusammen.

OK! Aber nach sechs Spielen haben wir den Turn-Around geschafft. In den folgenden neun Spielen haben wir die meisten Punkte aller Mannschaften der Liga geholt. Da hat man doch die Qualität gesehen. Und danach fing das wieder mit den Verletzten an.

Ich kann zum einen verstehen, dass die Leute unruhig wurden. Zum anderen war es aber klar, dass eine junge Mannschaft nicht immer stabil spielen kann. Dass eine Mannschaft, die in so kurzer Zeit zusammengestellt wurde immer dominant ist, geht auch nicht. Und wir konnten auch niemanden kaufen, der das Niveau eines Drogba hat, sondern mussten Spieler finden, die zu dem Zeitpunkt auf dem Markt waren, Qualität haben und günstig sind.
Das sind in der Regel Leute, die bei ihren alten Vereine Probleme hatten, weil der Trainer nicht auf sie stand oder das System nicht zu ihnen gepasst hat, oder Spieler wie Rolf-Christel Guie-Mien, der noch einmal eine Herausforderung gesucht hat, nachdem er bei Sachsen Leipzig ein katastrophales Jahr hatte.


Heiko BonanJawattdenn.de: Die Situation eskalierte dann so weit, dass nach dem Emden-Spiel sogar vor der Geschäftsstelle randaliert wurde. Das haben sie als Spieler hier so nicht erlebt, oder?

Heiko Bonan: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Es gab aber natürlich auch in den drei Jahren ein paar Mal Theater. Aber es ist ja auch das schöne an diesem Verein hier, dass man merkt, dass er lebt.
Ich weiß auch, dass RWE im Prinzip nur weiß oder schwarz kennt, es gibt keine Grauzonen. Entweder ist alles toll, oder es ist alles scheiße. Das wusste ich aber auch bevor ich den Job hier angenommen habe, und ich habe damit kein großes Problem.
Dass es nach zwei Punkten aus den ersten fünf Spielen Kritik gab, konnte ich auch verstehen. Ich war ja selber auch nicht glücklich, wie sich wohl jeder vorstellen kann. Aber wir waren immer davon überzeugt, dass wir Qualität haben. Wir haben natürlich auch brennend darauf gehofft, dass sie sich endlich mal in Punkten auszahlt.


Jawattdenn.de: Sie haben vorhin angesprochen, dass in Spielen wie gegen Verl auch die Alternativen gefehlt hätten, um ein Spiel noch mal herumzureißen. Sind Niederlagen wie in Verl oder gegen Cottbus in der Vorrunde vor allem darauf zurückzuführen, oder ist es nicht eigentlich normal, dass auch Mannschaften mit eigentlich guter Form sich irgendwann mal Ausrutscher leisten müssen?

Heiko Bonan: So was muss überhaupt nicht passieren. In meiner letzten Saison als Spieler haben wir vor dem Zweitligaaufstieg in der Rückrunde 13 Spiele gewonnen und eins unentschieden gespielt. Ein solches "Muss" gibt es also nicht. "Normal" ist das auch nicht. Vor allem das Spiel in Verl war auch für uns Trainer ein Nackenschlag, den wir uns nicht erklären konnten. Davor haben wir in Hamburg ein Riesenspiel gemacht und die Hamburger so was von auseinander genommen, Kaiserslautern aus dem Pokal geschmissen und dann verlierst du gegen eine solche Hupentruppe wie Verl. Wir waren wie alle anderen auch geschockt, aber dass so was passieren kann, ist eben Fußball. Für uns war das in diesem Moment auf gut Deutsch gesagt natürlich scheiße. Andersrum ist es natürlich auch schön, dass es so was mal gibt, denn sonst könnten wir auch nicht gegen Cottbus gewinnen, gegen Kaiserslautern gewinnen und an ein Spiel wie das gegen den HSV bräuchte man dann gar nicht zu denken.
So ein schwaches Spiel wie in Verl ist natürlich auch eine Situation, in der eine Mannschaft wachsen muss.

Aber da fehlen dann natürlich auch wieder die Verletzten. Machen wir uns doch nichts vor, steht ein Stefan Lorenz in Verl als Kapitän auf dem Platz, hast du als Mannschaft eine ganz andere Ausstrahlung. Es ist einfach etwas ganz anderes, wenn du noch jemanden wie Sercan Güvenisik, Stijn Haeldermans oder Mitja Schäfer zur Verfügung hast, bei denen du weißt, dass sie ein gewisses Niveau, die Erfahrung und ein Standing haben. Du weißt, dass sich noch was auf dem Platz tut, wenn du einen solchen Spieler bringst.

Bringe ich einen Emrah Uzun, dann weiß ich, dass der motiviert bis in die Haarspitzen, fast schon überdreht ist. Bringe ich aber wirklich so viel Qualität in die Mannschaft, dass das Spiel sich verändert?
Nein. Das geht nicht, und das kann ich vom Emi auch nicht erwarten. Wenn die Alternativen fehlen, hast du einfach Probleme, die Richtung eines Spieles zu ändern. Bei Union Berlin lief das zum Beispiel komplett anders. Es ist ja unglaublich, aber Uwe Neuhaus hatte ja praktisch keine Verletzte bis auf einen Spieler. Wenn da aber mal fünf Spieler ausgefallen wären, wäre bei Union Schicht gewesen, weil man da hintendran gar nichts mehr hat. Die mussten halt Daumen drücken, dass nichts passiert.


Jawattdenn.de: Nachdem die Mannschaft in der letzten Saison eher defensiv eingestellt wurde, sollte in dieser Saison wieder offensiver gespielt werden. In 20 Spielen wurden allerdings bisher 25 Tore erzielt, was ja eigentlich nicht so viele sind…

Heiko Bonan: Das ist auch nicht viel. Aber wenn ich mir Spiele wie das Rückspiel gegen Düsseldorf angucke, wo das Chancenverhältnis 7:0 ist - Was soll ich machen? Ich kann mich ja nicht selber aufstellen und den Ball aus drei Metern eben nicht gegen den Pfosten schießen, sondern ins Tor.

Wir haben eine der besten Defensiven der Liga, und haben, sieht man mal vom Spiel in Dortmund ab, wo wir nicht einmal gefährlich aufs Tor geschossen haben, in jedem Spiel unsere Torchancen. Wir haben nur diesen Killerinstinkt nicht. Das geht uns ab, keine Frage. Ich hätte auch gerne ein paar mehr Tore auf dem Konto, denn die würden auch mehr Punkte bedeuten. Da fehlt uns einfach das letzte Bisschen, aber das ist eben nur extrem schwer anzutrainieren. Das haben manche Leute, deswegen nennt man sie Torjäger oder Tormaschinen, und andere haben es eben nicht in dem Maße. Die Leute, die es haben, sind teuer und meistens unter Vertrag.


Jawattdenn.de: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Olaf Janßen?

Heiko Bonan: Gut. Ich habe ja auch bewusst zu Beginn der Saison dazu Stellung bezogen.
Es kann von außen ja überhaupt niemand sehen, wie extrem akribisch und fleißig Olaf Janßen arbeitet. Es gibt bei RWE wohl nicht viele Leute, die mehr Stunden an ihrem Arbeitsplatz sitzen und für den Verein tätig sind als Olaf Janßen. Ich denke, dass wir auch von unserer Art her ganz gut zusammen passen. Er ist, wie gesagt, sehr akribisch, macht alles in Schriftform und bereitet alles vor, während ich eher ein spontaner Typ bin. Das ergänzt sich ganz gut.


Jawattdenn.de: Hätte man es als Trainer in Essen bei vielen Fans aber nicht leichter, wenn man auf Distanz zu Olaf Janßen geht?

Heiko Bonan: Es geht aber nicht um meinen Hals, sondern darum, dass wir als Verein Erfolg haben. Und wenn ich von meiner Mannschaft erwarte, dass sie als Team auftritt und die Spieler akzeptieren, dass man sich als Einzelspieler der Mannschaft und ihren Zielen unterzuordnen hat, kann ich doch hier nicht den Alleinunterhalter spielen. Das ist auch gar nicht mein Ding. Mir macht Erfolg viel mehr Spaß, wenn ich ihn mit einem Team feiern kann, als wenn ich alleine dastehe. Ich weiß dann auch, dass - auch wenn es mal schlecht läuft - diese Leute auch zu mir Heiko Bonanstehen. Im Grunde genommen ist ein Fußballverein von oben bis unten ein geschlossenes Team. Und nur die Vereine haben letztendlich auch Erfolg, bei denen dieses Team im Großen zusammenbleibt und es in eine Richtung geht. Wenn der eine da lang geht, der andere da lang, und eigentlich nur jeder versucht, seinen Arsch zu retten, kann man keinen Erfolg haben.


Jawattdenn.de: Am Mittwoch geht es nach Spanien. Wurden Sie in die Entscheidung involviert, wohin es ins Trainingslager geht? Um das letztjährige Trainingslager hatte es wohl leichte Differenzen gegeben…

Heiko Bonan: Diese Differenzen wird es zwischen Olaf Janßen und Heiko Bonan niemals geben.
Und selbst wenn der Verein in diesem Jahr gesagt hätte, dass wir kein Trainingslager bezahlen können, wäre ich mit Sicherheit nicht rumgerannt und hätte rumgebrüllt, sondern hätte mir gesagt, dass wir eben kein Geld dafür haben und unser Trainingslager hier machen müssten. So wie zig andere Fußballmannschaften auch. Wir haben jetzt die Möglichkeit, nach Spanien zu fliegen, und die wollen wir auch nutzen um ordentlich zu arbeiten.


Jawattdenn.de: Olaf Janßen hat schon vor längerer Zeit angesprochen, dass RWE versuchen sollte, ein Jugendinternat aufzubauen und die Jugendarbeit zu verbessern.
Sie haben sich schon mehrfach positiv über die Ausbildung von Sportlern und die Jugendarbeit in der ehemaligen DDR geäußert. Haben sie sich über dieses Thema schon einmal ausgetauscht und konnten sie konkrete Anregungen geben?

Heiko Bonan: Ich glaube, dass das, was wir im Osten gemacht haben, hervorragend war. Das lässt sich aber nicht Eins-zu- Eins übertragen. Man muss sehen, was man von damals übernehmen kann und auf die heutige Zeit und unsere Möglichkeiten übertragen kann. Die Jugendabteilung ist hier relativ eigenständig. Wir haben zum Beispiel auch das Problem, dass hier jede Mannschaft verstreut ist. Ich bin beim 1.FC Magdeburg im Jugendinternat groß geworden, und da waren alle Mannschaften zusammen an einem Ort. Der erste Schritt ist, dass wir einfach entsprechende Bedingungen anbieten müssen, und die entsprechende Qualität in Form von Trainern. Dann kommen die Jungs von ganz alleine. Trainingsinhalte sind dann der nächste Schritt, wobei ich mich bei so was sicherlich nicht hinstellen möchte und sage, dass ich der Überflieger bin und wir das so-und-so machen müssen.
Da muss man sich abstimmen, so was geht nur im Team.


Jawattdenn.de: Sie sagten, die Jugendabteilung sei relativ eigenständig. Sie verfolgen die Geschehnisse rund um die A-Jugend und die II. Mannschaft aber trotzdem und stehen in Kontakt mit Sven Demandt und Michael Kulm?

Heiko Bonan: Ja, man sieht es ja auch: Wir haben mittlerweile sechs Spieler aus der U23 bei uns, teilweise permanent, im Training gehabt. Aus der A-Jugend war auch schon der eine oder andere dabei. Jetzt in der Vorbereitung trainiert zum Beispiel Oliver Ritz bei uns mit. Robin Himmelmann, der Torhüter der A-Jugend, wird in der Rückrunde so oft es geht mit unserem Torwarttrainer arbeiten. Die Verzahnung ist schon eng.

Trainingsbeteiligung bedeutet für mich auch nicht, dass ich da als Nummer 27 ein bisschen mit rum laufe und wenn der Trainer 11-gegen-11 spielen lässt, ich irgendwo auf einem Nebenplatz den Ball hochhalte. Bei uns heißt Trainingsteilnahme auch 100% Beteiligung an jeder Übung. Die Spieler sind auch bei den Spielformen mit integriert, weil wir es so planen, dass wir nur mit 22 Leuten trainieren. Es können natürlich auch mal mehr sein, wenn z.B. ein angeschlagener Spieler wieder zurückkommt. Aber eigentlich wollen wir mit 22 Spielern voll trainieren, und das bedeutet, dass wenn ein A-Jugendlicher bei der Einheit mit dabei ist, dann macht der auch komplett die Abschlussspielform mit.

Ich habe das in Ahlen schon durchgezogen, und ich werde es in Essen auch durchziehen:
Wer bei Rot-Weiss in der Jugendabteilung groß wird, seine Leistung bringt und so weit ist, für den steht die Tür nach oben offen. Man hat seine Chancen, bei RWE in die erste Mannschaft zu kommen. Es ist nicht so, dass da eine Betonwand zwischen Jugendabteilung und erster Mannschaft stände. Ich glaube, dass wir darauf stolz sein können, denn das ist nicht bei vielen Vereinen so.


Jawattdenn.de: Hat es denn eine Signalwirkung für die eigenen Nachwuchsspieler und auch die Jugendspieler anderer Vereine, wenn es jemand wie Niklas Andersen schafft, aus der A-Jugend zu kommen und sofort Stammspieler zu werden?

Heiko Bonan: Das kann ich schlecht beurteilen. Ich weiß nur, dass die Wirkung in Ahlen extrem war, nachdem ich nachher vier Stammspieler aus der eigentlichen Reserve hatte. Da ging ein Ruck durch alle Mannschaften, gerade durch die, die vor dem Sprung in den Seniorenbereich standen. Normalerweise müsste so was schon eine Signalwirkung für junge Spieler haben, die dann merken: "Oh hoppla, da geht jetzt was!". Aber der nächste Schritt liegt dann wieder bei den Spielern. Ich muss dann nicht noch herum rennen und die Spieler dazu auffordern Leistung zu bringen, weil sie dann dabei sein dürfen. Die Spieler müssen sich über Leistung so aufdrängen, Heiko Bonandass wir gar nicht an ihnen vorbei kommen.


Jawattdenn.de: Das Pokalspiel gegen den HSV liegt zweieinhalb Wochen vor dem Ligastart gegen Ahlen. Auf welches Spiel wurde die Vorbereitung abgestimmt? Soll die optimale Wettkampfform gegen Hamburg oder erst gegen Ahlen erreicht werden?

Heiko Bonan: Wir arbeiten so, dass wir gegen den HSV topfit sind. Danach kommen ja auch nicht mehr so viele Spiele. Wir brauchen uns da ja nicht in die Tasche zu lügen, es gibt andere Ligen, die spielen den ganzen Winter durch. Eine Woche nach dem Pokalspiel spielen wir im Verbandspokal gegen Homberg. Die sind auch ein guter Gegner und es geht um viel. Und dann kommt Ahlen.

Ab dem HSV-Spiel werden wir auf dem Level bleiben bzw. versuchen, unseren Level zu halten. Also müssen wir gegen Hamburg schon ganz weit oben sein.


Jawattdenn.de: RWE entsteht gegenüber den Mannschaften, die erst zwei Wochen später wieder ran müssen, also kein nennenswerter Nachteil?

Heiko Bonan: Ich sehe darin keinen Nachteil. Wir haben uns ja auch dementsprechend präpariert. Die Spieler hatten für ihren Urlaub detaillierte Trainingspläne bekommen, und man sieht auch, dass die Spieler diese Grundlagenausdauerphase zu Hause hinter sich gebracht haben. Wir steigen jetzt im Prinzip schon mit dem nächsten Schritt in das Training ein. Die anderthalb Wochen, die die anderen mehr haben, haben wir eigentlich schon im Urlaub abarbeiten lassen. Ich sehe da also kein Problem. Das sind zwei Wochen! Entweder man kann wirklich mal ungefähr ein halbes Jahr das Niveau halten, oder zwei Wochen Training helfen dir auch nicht mehr weiter. Vor allen Dingen ist das Spiel gegen den HSV ja auch ein Highlight. Jeder Spieler wird in der Vorbereitung richtig Gas geben, um an diesem Tag fit zu sein, weil jeder eine Riesen-Sensation schaffen möchte. Und danach wird auch niemand in ein Loch fallen, denn eine Woche später geht es ja wie gesagt schon weiter.


Jawattdenn.de: Die Formation, in der sie ihre Mannschaft spielen lassen, hat man so in Essen noch nicht gesehen. Die Dreierkette und vor allem der Sturm mit einer Spitze und zwei Spielern dahinter haben viele Leute überrascht. Wird das in der Rückrunde beibehalten?

Heiko Bonan: Definitiv.


Jawattdenn.de: Es gibt allerdings viele Stimmen, die meinen, dass ein Zweiersturm, z.B. mit Markus Kurth und Andre Schei Lindbaek, torgefährlicher wäre. Das sehen Sie anders?

Heiko Bonan: Sonst würde ich anders spielen lassen. Es ist aber interessant, dass Benjamin Baltes auch deswegen nach Essen gekommen ist, weil er dieses Spielsystem interessant findet.
Der entscheidende Faktor ist, dass wir auch die Spieler auf dem Platz haben, die dieses System umsetzen.


Jawattdenn.de: Könnte man mit dem vorhandenen Spielermaterial überhaupt ein eher konventionelleres 4-4-2 spielen lassen?

Heiko Bonan: Ja, ganz einfach! Die Spieler können alle 4-4-2 spielen, aber so spielt doch jeder.
Guck dir doch mal ein Spiel an, wo zwei Mannschaften mit 4-4-2 aufeinander treffen. Das ist oft stinklangweilig. Im Prinzip spielt ja so gut wie jeder dasselbe. Wir wollen Fußballspiele gewinnen, und nicht ein 0:0 ermauern. Und mit dieser Konstellation mit einer Spitze und zwei schnellen Leuten dahinter, hätten wir, mit den verletzten Spielern an Bord, mehr Tore gemacht - darauf würde ich alles verwetten! Wir müssen einfach realistisch sein: wenn dir so viele Spieler wegbrechen, dann hast du einfach ein Problem. Wir haben es ja auch so geschafft, Bremen 4:0 und Hamburg 3:0 zu schlagen - das sind sieben Tore in zwei Spielen, mit angeblich nur einer Spitze! Aber wer hat die Tore geschossen? Spieler, die von hinten kamen. Ein Sören Brandy macht gegen Kaiserslautern das Tor, da kam er auch von hinten. Ich habe dieses Spielsystem in Ahlen spielen lassen, da war es erfolgreich, und ich glaube auch, dass es in Essen erfolgreich ist. Da glaube ich fest dran.

Meine Denkweise fängt auch nicht hinten an, sondern eher vorne. Man fragt sich, wie man gegen einen Gegner gewinnen kann, und da muss man sich auch mal etwas einfallen lassen. Nach der Aktion mit David Czyszczon in der Spitze gegen Ahlen hat sich jeder gefragt, wie blöd der Bonan eigentlich sein müsse, den Czyszczon in den Sturm zu stellen. Ich kann euch aber die ersten 17 Minuten Rot-Weiss Essen gegen Ahlen vorspielen: Vier 100%ige Torchancen, drei mal zu Unrecht Abseits gepfiffen. Drei Mal stehen wir alleine vor dem Torwart, drei Mal werden wir zurückgepfiffen. Dann spielt Ahlen einen Konter und macht das 0:1.


Jawattdenn.de: Es wird also auch nichts an der Zielsetzung, offensiven Fußball zu spielen geändert und nicht plötzlich auf eine kontrolliertere defensivere Taktik umgeschwenkt?

Heiko Bonan: Daran wird gar nichts geändert. Das eine schließt ja das andere auch nicht aus. Wir haben ja trotz allem die drittbeste Abwehr der Liga, und da ist ein 1:4 gegen Oberhausen mit drin. Das spricht doch für uns. Die Dreierkette mag ich einfach, weil wir automatisch einen Mann mehr im Mittelfeld haben. Wir müssen es nur mal hinkriegen, dominanter und selbstsicherer Fußball zu spielen. Dann wird das auch noch besser werden. Aber das ist ein Entwicklungsprozess. Man kann eben nicht auf einen Knopf drücken und es funktioniert alles. Im Fußball ist es nur leider so, dass schon nach zwei Wochen angefangen wird, abzurechnen. Wenn ich jetzt 17 Spieler aus Ahlen mitgebracht und fünf Neue dazugeholt hätte, dann hätte man meine Arbeit nach ein paar Wochen abschließend bewerten können, denn die wissen, wie es funktioniert und kennen sich. Das geht aber nicht mit 20 Neuen. Das kriegt man ja selbst auf einer normalen Arbeitsstelle nicht hin. Da dauert es auch ein paar Wochen, ehe man das erste Mal anfängt, privat über etwas zu reden. Bei Fußballern ist das ja nicht anders.


Jawattdenn.de: Die Liga präsentiert sich in dieser Saison wieder sehr ausgeglichen. Zwischen dem 1. und dem 11. Platz liegen nur neun Punkte und gerade in der oberen Tabellenhälfte geht es sehr eng zu. Ist das ein Zeichen für die Qualität der Liga, oder eher dafür, dass eigentlich alle Vereine ihre Probleme haben? Wie ist die Leistungsstärke der Regionalliga Nord einzuschätzen?

Heiko BonanHeiko Bonan: Für mich ist das kein Zeichen von Qualität. Im Prinzip ist das wieder alles ein Brei, und wer es in der Rückrunde schafft, eine Serie zu starten, der wird aufsteigen.


Jawattdenn.de: Wie St. Pauli in der letzten Saison?

Heiko Bonan: Wie St. Pauli. Letztes Jahr war das ja ganz krass. Kein einziger Trainer hat St. Pauli in der Winterpause als Aufstiegskandidaten genannt, und das war die Mannschaft, die als erstes durch war.


Jawattdenn.de: Und welche Rolle trauen sie Rot-Weiss in dieser Liga zu? Die Saisonziele wurden in der Presse ja teilweise schon als nach oben korrigiert vermeldet.

Heiko Bonan: Das ist auch wieder so eine witzige Geschichte. Das ist einfach typisch Rot-Weiss Essen. Es gab doch eigentlich nie ein anderes Ziel als den Aufstieg, oder? Gerade bei den Fans!


Jawattdenn.de: Bei den Fans natürlich nicht, aber offiziell wurde immer davon gesprochen, sich erst für die Dritte Liga zu qualifizieren und dann weiter zu sehen.

Heiko Bonan: Die Dritte Liga muss auch erstmal das Ziel sein. Rot-Weiss Essen ist im Sommer abgestiegen, das ist gerade mal ein halbes Jahr her. Man musste sich finanziell ganz neu positionieren, musste die Sponsoren wiedergewinnen und die Fans wieder dazu aktivieren, an den Verein zu glauben. Daran zu glauben, dass auch mal mehr möglich ist, als nur eine Fahrstuhlmannschaft zwischen zweiter und dritter Liga zu sein. Sich in dieser Situation hinzustellen und zu sagen, dass wir mit weniger Geld als damals innerhalb von drei Wochen eine Mannschaft zusammenkaufen, mit der wir sofort wieder aufsteigen, wäre doch vermessen gewesen. Für den Verein wäre es erst einmal wichtig, die Qualifikation für die Dritte Liga zu schaffen. Wenn mehr drin ist, hat keiner von uns etwas dagegen, inklusive meiner Person.

Aber wenn wir "nur" die Qualifikation für die Dritte Liga schaffen, sind wir ganz gut aufgestellt und müssen nicht wieder 15 neue Spieler holen. Wir können uns dann - im wahrsten Sinne des Wortes - verstärken, weil wir dann eine eingespielte Mannschaft haben, bei der wir wissen, wer welche Qualitäten hat. Wir können sagen, dass wir vier, fünf Neue dazuholen, und dann im nächsten Jahr noch mal die Möglichkeit haben, anzugreifen. Dann macht man eben mal einen Zwischenschritt. Warum soll man immer Riesenschritte machen, wenn man mit zwei kleinen Schritten viel besser vorwärts kommt?

Ich weiß natürlich, dass es in der Öffentlichkeit nur ein Ziel gibt, aber ich kann mir diesen Luxus nicht erlauben. Ich muss immer versuchen zu beobachten, was denn nun tatsächlich möglich und was nicht möglich ist. Und ich sage, wenn wir die vielen Verletzten nicht gehabt hätten, hätten wir ganz dick um den Aufstieg mitgespielt.

Ob das jetzt auch machbar ist, werden wir sehen. Wir werden es auf jeden Fall versuchen.
Allerdings immer mit dem Hintergedanken, dass die oberste Priorität die Qualifikation für die Dritte Liga hat, und das möglichst sicher und so schnell wie möglich.


Jawattdenn.de: Sie waren als Spieler bei RWE tätig, sind dann drei Jahre später Trainer geworden. Vergleicht man Umfeld und Fans an der Hafenstraße, ist es schwieriger geworden?

Heiko Bonan: Es ist unruhiger und aggressiver geworden. Auch die Reaktionen der Fans, das wurde ja gerade schon angesprochen. Das hat es in meinen drei Jahren als Spieler hier nicht gegeben. Der erneute Abstieg usw., das ist eine Hypothek, die wir dieses Jahr mit rüber nehmen. Die hat man uns einfach auf den Rücken gebunden. Als ich hier angekommen bin, habe ich mich gefragt, was denn hier los ist.

Heiko BonanKlar ist man abgestiegen, aber ich habe es schon so oft gesagt, mit den letzten 30 Jahren hat die jetzige Mannschaft nichts zu tun!

Diese Mannschaft ist, bis auf drei Spieler, noch nie mit Rot-Weiss Essen abgestiegen, und auch noch nie aufgestiegen. Die meisten Spieler haben Rot-Weiss Essen erst im letzten halben Jahr kennen gelernt und haben mit dieser ganzen Sache nichts zu tun. Eher schon ich, aber als ich 2004 aufgehört habe, sind wir aufgestiegen, und als wir danach wieder abgestiegen sind, war ich auch nicht mehr da.

Wir tragen eine Hypothek von drei Jahrzehnten bzw. dem letzten Abstieg mit uns herum, obwohl diese Mannschaft damit nichts zu tun hat. Deswegen empfinde ich es als sehr viel unruhiger und aggressiver, auch weil vielleicht der eine oder andere Fan einfach die Geduld verliert.

Solche Sachen wie zum Beispiel den Stadionneubau kann aber die Mannschaft gar nicht beeinflussen. Gut, wenn wir ganz oben mitspielen und letztlich aufsteigen, gibt das sicherlich einen Schub, aber das Geld für den Neubau hast du dann trotzdem nicht in den Kassen. Da hat die Mannschaft nichts mit zu tun, und deswegen sollte man versuchen, dass nicht immer auf die Spieler und den sportlichen Bereich zu transportieren.

2004 wurde nach unserem Aufstieg auch kein neues Stadion gebaut, obwohl es immer hieß, dass es kommt, wenn wir aufsteigen. Ich glaube einfach nicht, dass Aufstieg oder Nicht-Aufstieg einen großen Unterschied für den Stadionneubau machen, denn ich glaube nicht, dass das die großen Konzerne interessiert.


Jawattdenn.de: Sie haben schon als Spieler als jemand gegolten, der gegenüber der Öffentlichkeit und den Fans ganz klar seine Meinung gesagt hat, gerade auch, wenn man sich deren Kritik zugezogen hatte. Auch in der Hinrunde gab es einige Äußerungen von Ihnen, die unter den Fans sehr kontrovers diskutiert wurden. Gerade Ihre Aussage nach dem Braunschweig-Spiel, dass man in Essen vielleicht lernen müsse, etwas mehr Demut zu zeigen, wurde sehr kritisch aufgenommen. Versuchen Sie, in solchen Situationen bewusst zu provozieren, oder sind das so kurz nach Spielende einfach emotionale Ausbrüche?

Heiko Bonan: Ich will damit niemanden ärgern, das ist einfach das, was ich in diesem Moment empfinde. Aber gerade als Fan müsste man das doch verstehen können. Die Zuschauer leben ihre Emotionen im Spiel ja auch aus, genauso muss man doch als Trainer oder Spieler mal fragen können: Was wollen die eigentlich? Warum pfeifen die uns aus? Warum beschimpfen die uns? Darf man das nicht? Ich meine, wir sind ja auch nur Menschen. Ich will damit sicherlich niemanden ansticheln, aber ich bin auch emotional. War ich als Spieler schon, und bin ich auch jetzt noch.

Und ich war auch nach dem Spiel gegen Düsseldorf extrem enttäuscht. Wir haben mit einer Rumpfelf den Tabellenführer an die Wand gespielt und haben 7:0 Torchancen, und da ist hier eine Totenstimmung. Ich hätte gedacht, dass sich die Fans sagen, dass das das letzte Spiel des Jahres war, die sich den Arsch aufgerissen und Düsseldorf 90 Minuten lang dominiert haben, und nur das Tor gefehlt hat. Da war ich einfach maßlos enttäuscht, denn so kenne ich das Publikum hier eigentlich nicht. Das hat sich, wie gesagt, etwas geändert.

Was ich nach dem Spiel gegen die Eintracht mit der Demut meinte: Ich glaube, jeder weiß, wie ich zu diesem Verein stehe. Das muss ich nicht noch 1000 Mal betonen. Ich mag diesen Verein, auch weil es nur schwarz und weiß gibt. Entweder man kriegt aufs Maul, oder man wird geliebt. Aber trotzdem kommen doch auch Mannschaften hier an die Hafenstraße, die auch was können.

Dass die Mannschaft mal ausgepfiffen wird, wenn sie katastrophal spielt, ist kein Problem.
Da hatte ich als Spieler auch kein Problem mit. Das tut zwar weh wie Sau, aber ist normal.
Aber immer wieder zu verlangen, dass wir den weghauen und die weghauen und die weghauen müssen - das geht eben nicht mehr so einfach. Guckt euch Bayern München an. Nach sieben Spieltagen hieß es, dass wäre die beste Mannschaft, die je in der Bundesliga rum lief, jetzt sind sie gerade mal durch ihr Torverhältnis Herbstmeister geworden.

Es gibt keine Selbstläufer mehr, man muss in jedem Spiel von Anfang an seinen Gegner ernst nehmen. Das erwartet ihr ja auch, und ihr könnt auch erwarten, dass wir nicht hingehen und uns sagen: "Ach, da kommt nur Cottbus II!". Es sah vielleicht von außen so aus, als wenn es so war. (lacht) Es war aber nicht so. Ich glaube nicht, dass die Mannschaft die unterschätzt hat.
Das war aber wieder so ein Spiel, da wären wir wieder ganz oben mit dabei gewesen, wenn wir das gewonnen hätten. Und da haben sie vielleicht Muffensausen bekommen und unterbewusst gedacht: "Scheiße, wenn das wieder in die Hose geht…".


Jawattdenn.de: Was haben Sie persönlich im letzten halben Jahr bei RWE gelernt?

Heiko BonanHeiko Bonan: Unheimlich viel. Das kann ich alles gar nicht aufzählen. Ich habe auch nie behauptet, dass ich schon der fertige Trainer bin. Das wird man auch nie sein. Auch die Phase, in der es ganz bitter war, es wirklich weh tat und man ganz schlecht geschlafen hat, hat mich weitergebracht.

Ich habe gelernt, mal mit ein bisschen mehr Gelassenheit an die Sache zu gehen und nicht auf alles zu hören, was von außen kommt. Man kann eh nicht alle zufrieden stellen. Selbst wenn nur zehn Mann im Stadion sind, wette ich, dass fünf von denen nicht zufrieden sind. Am Anfang habe ich aber versucht, alle zufrieden zu stellen. Das schaffe ich aber eh nicht. Man kann nicht 15.000 Rot-Weiss-Fans zufrieden stellen - weil dem einen fehlt der Spieler, der andere möchte gerne den ausgewechselt haben, der Nächste möchte 4-4-2 spielen, wieder ein Anderer will drei richtige Spitzen. Ich kann es eh nicht allen Recht machen! Ich kann es nur so machen, wie ich glaube, dass es der beste Weg ist, der die größtmögliche Chance auf Erfolg verspricht. Und das wie gesagt auch nicht alleine, sondern nur in Absprache mit allen anderen zusammen. Wobei ich natürlich den Kopf hinhalte, das ist ganz klar. Das muss man aber auch erstmal lernen. Man steht als Trainer ganz anders im Fokus, hat viel mehr zu tun, als man als Spieler jemals gedacht hätte, aber trotzdem macht der Job unglaublich viel Spaß.


Jawattdenn.de: In Ahlen war es für Sie wahrscheinlich etwas ruhiger?

Heiko Bonan: Ahlen war eben etwas ganz anderes, weil man in Ahlen permanent dieses latente Gefühl hatte, dass der Verein finanziell so gut wie tot ist. Wenn du zum Schluss der Saison nur noch mit 12 Bällen trainieren kannst, obwohl du 25 Spieler hast, dann sagt das alles aus, denke ich. Davon mal abgesehen, war es natürlich trotzdem ruhiger.

Ich habe aber auch kein Problem mit der Presse, denn ich lese ehrlich gesagt eher selten Zeitung. Es nützt mir ja eh nichts, wenn der Reporter schreibt, dass der Bonan nett ist und Plan hat, die oben im Verein aber sagen, dass ich blind bin und rausgeworfen werde. Das bringt mich ja nicht weiter und jedem Recht machen kann ich es, wie gesagt, sowieso nicht.

Bei Fragen wie der nach André Schei Lindbaek habe ich eigentlich schon einen Plattenspieler aufgelegt. Die Frage ist in der Regel immer die dritte Frage. Die erste Frage bei der Pressekonferenz ist immer, wer verletzt ist. Da sage ich jedes mal, jeden Mittwoch, dass ich da nicht drauf antworte. "Warum nicht?" - weil es meinen Trainerkollegen nichts angeht, wer von meinen Spielern angeschlagen ist. Trotzdem jede Woche dieselbe Litanei, erste Frage: "Wer ist verletzt?".
Deswegen höre ich irgendwann auf, lese gar nicht mehr, was die schreiben wollen und fertig.

Wenn jemand eine konkrete Frage hat, stehe ich aber jederzeit zur Verfügung und gebe dann auch gerne eine konkrete Antwort.

Nur um eins bitte ich: ein bisschen Vertrauen. Ich weiß schon, was ich da mache.
Ob das in jedem Einzelfall immer richtig ist oder nicht, aber ich weiß, was ich mache.


Jawattdenn.de: Vielen Dank für das interessante Gespräch!


Das Interview führten Henrik Holländer, Hendrik Stürznickel und Tim Zähringer