23.08.2018

Der Verein ist mir richtig ans Herz gewachsen – Interview mit Benjamin Baier

von Hendrik Stürznickel

Ein sichtlich fröhlicher Benjamin Baier kommt zu unserem Interview. Die Stimmung ist nach drei Siegen und der zwischenzeitlichen Tabellenführung super. Der Kapitän von RWE hat in den vergangenen vier Jahren 158 Spiele bestritten, in denen er satte 41 Tore erzielte und 26 Vorlagen gegeben hat. Bei Baier dürfen auch 42 gelbe Karten nicht unerwähnt bleiben. Im Jawattdenn-Interview spricht der Käpt’n über die aktuelle Stimmung, seine Karriere und wie sich Bastian Schweinsteiger auf seine Trikotnummer auswirkte.

Jawattdenn.de: Nach drei Siegen in Folge ist die Stimmung zu Saisonbeginn deutlich besser als in den letzten Jahren. Merkt man das beim täglichen Training?

Benjamin Baier: Die Grundstimmung ist bei uns im Training besser. Wir merken auch, dass die Stimmung im Umfeld besser ist. Man arbeitet ohnehin viel lieber, wenn man erfolgreich ist. Das ist nicht nur im Fußball, sondern überall so. Deswegen legen wir uns aber nicht auf die faule Haut. Wir genießen es, bleiben aber fokussiert.

Jawattdenn.de: Zwar ist es zu Saisonbeginn noch früh und die Tabelle ist durch die Spielausfälle schief, doch kam nach dem Spiel gegen Köln die Westtribüne wuchtig herüber. Unterscheidet sich die Atmosphäre im Vergleich zu der letzten Tabellenführung im Jahr 2014/15?

Benjamin Baier: In meinem ersten Jahr bei RWE 2014 kamen auch sehr viele Zuschauer, aber wir standen nicht von Beginn an oben in der Tabelle, so wie es jetzt der Fall ist. Zunächst waren wir elf Punkte hinter Viktoria Köln. Nach dem Last-Minute-Erfolg gegen Viktoria am neunten Spieltag haben wir eine Serie gestartet, durch die wir ganz nach oben gekommen sind. Durch die frühen Erfolge unterscheidet sich das zu dieser Saison, in der die Grundstimmung sehr viel besser ist. Trotzdem waren das auch damals schöne Momente.

Jawattdenn.de: Gekrönt wurde das durch das erste Spiel in der Rückrunde gegen Aachen, bei dem über 30.000 Zuschauer in einem Viertligaspiel da waren…

Benjamin Baier: …bis dahin ist allerdings in der Winterpause viel passiert wie die Geschichte von Cebio (damals wurde die Dopingsperre gegen Cebio Soukou ausgesprochen Anm. d. Red.). Jeder hat nur noch über dieses Spiel geredet und es ging um nichts anderes mehr. Leider haben wir dieses Spiel verloren. Das gab einen Knacks. Soetwas wollen wir in dieser Saison vermeiden.

Jawattdenn.de: Das letzte Spiel gegen den 1. FC Köln II habt ihr verdient und souverän gewonnen. Was hältst Du von der These, dass ein solches Spiel gegen einen kompakt stehenden Gegner, gegen den die Tore nicht sofort fallen, vor einem Jahr vielleicht nicht gewonnen oder sogar verloren worden wäre?

Benjamin Baier: Das kann sein, aber wir brauchen nicht mehr nach hinten zu schauen. Wir sollten mehr Energie darauf legen, uns auf die künftigen Aufgaben zu konzentrieren. Die Jungs, die jetzt einige Jahre hier sind, haben aus den Situationen gelernt. Wir ziehen unser Spiel nun durch und haben uns am Sonntag dafür belohnt. Wir wussten, dass das ein schwieriges Spiel wird und wir waren gut vorbereitet. Man muss der Mannschaft ein Kompliment machen, wie sie es gelöst hat.

Jawattdenn.de: Dies war das Wochenende der ersten Pokalrunde. Hast Du Dich geärgert, dass es „nur“ der Alltag in der Liga und nicht das Pokalhighlight war?

Benjamin Baier: Ja, schon. Am Ende haben wir das Niederrheinpokalspiel gegen Oberhausen verloren, egal ob es verdient oder unverdient war. Ich gebe aber zu, dass ich viele Pokalspiele geschaut, aber deren Spiel nicht geguckt habe. Am Ende mussten wir uns auf die Liga konzentrieren und wer weiß, wozu es gut ist.

Jawattdenn.de: Von der sportlichen Qualität der Neuzugänge konnten sich die Fans bereits überzeugen. Wie gut haben die neuen Fußballer sich denn in die Mannschaft integrieren können?

Benjamin Baier: Da muss ich ein Kompliment aussprechen, sie haben sich extrem schnell und sehr gut in die Mannschaft integriert. Das sind super Typen. Auf dem Platz sieht man, wie gut die Jungs in die Mannschaft passen. Die Spieler, die da waren, haben die neuen Spieler gut aufgenommen. Ich denke aber, dass es nicht schwierig ist, sich in unserer Mannschaft wohl zu fühlen.

Jawattdenn.de: Das nächste Spiel in Bergisch-Gladbach ist gegen einen eher unbekannten Gegner, den TV Herkenrath. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, da am Boden zu bleiben und das Spiel so fokussiert anzugehen, wie es nötig ist. Die Herkenrather sind jedoch ziemlich stark in die Saison gestartet. Gibt es konkrete Maßnahmen, wie man die Mannschaft auch gegen einen solchen Gegner erden kann?

Benjamin Baier: Die Herkenrather haben auch schon elf Tore geschossen. Es ist zwar ein Aufsteiger, sie machen ihre Sache bislang aber sehr gut. Wir sind also gewarnt. Es ist für nahezu alle Teams in der Liga das Saisonhighlight gegen Rot-Weiss Essen zu spielen, deswegen wissen wir, dass wir nirgendwo hinfahren und mit 80 Prozent Einsatz etwas reißen können. So schlau ist der Trainer, so schlau ist auch die Mannschaft. Wir sind zwar auf dem ersten Platz, wir alle wissen aber, dass es erst der vierte Spieltag ist, und wir uns dafür nichts kaufen können.

Jawattdenn.de: Zu Deinem Werdegang: Geboren und aufgewachsen bist Du in Aschaffenburg. Mit Fußballspielen hast Du bei Viktoria Aschaffenburg begonnen?

Benjamin Baier: Mein erster Jugendverein war vorher noch Teutonia Obernau, ein kleines Dorf in der Umgebung. In der C-Jugend bin ich zu Viktoria gewechselt, das ist der größte Verein in Aschaffenburg mit einer sehr guten Jugendarbeit. Dort waren wir sehr erfolgreich. In der A-Jugend habe ich mich entschieden, nach Offenbach zu gehen. Das hatte den Vorteil, dass ich zu Hause wohnen bleiben und meine Ausbildung beenden konnte, was meiner Mutter sehr wichtig war. Das war kein schlechter Weg für mich, denn dort bin ich zum Profi geworden.

Jawattdenn.de: Muss ich mir das in dieser Region genauso vorstellen wie hier im Ruhrgebiet, dass die großen Klubs wie Eintracht Frankfurt oder Kickers Offenbach die guten Fußballer in den Jugendabteilungen des Umlandes abwerben?

Benjamin Baier: So krass wie im Ruhrgebiet ist es nicht, aber auch im Rhein-Main-Gebiet gibt es viele große Klubs. Neben Offenbach und Frankfurt sind da noch Mainz und heute Darmstadt, die damals noch nicht so groß waren. Die Jungs, die hoch spielen wollen, wechseln zu diesen Vereinen. Mein Vater war damals Trainer in der Offenbacher Jugend und so habe ich mich zu diesem Wechsel entschieden.

Jawattdenn.de: Dein Vater war Bundesliga-Fußballer, Dein Bruder ist Profi und Du verdienst Deinen Lebensunterhalt auch mit dem Fußball: man kann also von einer Fußballerfamilie sprechen. Stelle ich es mir richtig vor, wenn ich davon ausgehe, dass Fußball das beherrschende Gesprächsthema der Familie Baier in Deiner Jugend war?

Benjamin Baier: Mein Vater war schon Profi und hat uns von klein auf zu den Spielen mitgenommen. Er hat aber nie verlangt, dass wir diesen Weg auch gehen. Wir waren dabei und haben immer Fußball gespielt. Fußball war immer Thema und er ist es auch heute noch immer, wenn wir uns sehen. Meine Mutter kann es nicht mehr hören. (lacht)

Jawattdenn.de: Das stelle ich mir auch schwierig vor, wenn sie immer die drei Männer um sich hat, die dieses eine Thema haben.

Benjamin Baier: Ich muss aber sagen, dass sie ihre komplette Freizeit für uns investiert hat, um uns zum Beispiel zum Training zu fahren. Ich danke meiner Mutter und meinem Vater dafür, was sie uns ermöglicht haben. Mein Bruder und ich wissen das zu schätzen, auch wenn mein Bruder schon mit 16 ins Fußballinternat zu 1860 München gegangen ist.

Jawattdenn.de: Der 23. November 2007 ist ein entscheidendes Datum, da hattest Du Deinen ersten Einsatz für Offenbach in der Zweiten Liga in Mönchengladbach…

Benjamin Baier: …das ist nicht ganz richtig, ich bin in der Woche davor auch für fünf Minuten gegen Greuther Fürth eingewechselt worden, doch dieser Einsatz taucht in den Statistiken im Internet nicht auf. Das Datum vergesse ich nicht. Unter der Woche haben wir im Pokal gegen Hansa Rostock 0:6 auf die Glatze bekommen und der Trainer ist daraufhin zurückgetreten. Der Trainer der zweiten Mannschaft hat kurzfristig übernommen und mich dann direkt eingewechselt.

Gegen Gladbach waren es schon 20 Minuten Einsatz. Ich hätte nie gedacht, dass ich eingewechselt werde. Das war ein tolles Erlebnis, zweite Bundesliga spielen zu dürfen. Damals war es als junger Spieler noch schwieriger, Einsatzzeiten zu bekommen. Heute werden die jungen Fußballer viel früher herangeführt. Die Jungen waren damals die kleinen Knechte. (lacht) Auch wenn wir verloren haben, bin ich mit einem breiten Grinsen aus dem Borussiapark herausmarschiert.

Jawattdenn.de: Ich stelle mir das schon toll vor, als junger Fußballer in Mönchengladbach aufzulaufen.

Benjamin Baier: Die Borussia ist in dem Jahr aufgestiegen, die hatte eine super Mannschaft mit Marin und wie sie alle hießen. Das war ein Mega-Erlebnis.

Jawattdenn.de: 2010 bist du von den Offenbacher Kickers zu Rasenball Leipzig gegangen. Im Hüttengespräch im vergangenen Jahr hast Du verraten, dass Du dort zum ersten Mal richtigen Hass kennen gelernt hast. Kannst Du das an konkreten Situationen erklären, wie Du das erlebt hast?

Benjamin Baier: Vielleicht ist es heute sogar normal, dass Menschen den Mannschaftsbus oder uns Spieler mit Gegenständen beschmeißen und anpöbeln. (lacht) Damals war ich zwanzig und RB gab es im zweiten Jahr. Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man überall mit eigenen Securities hinfahren muss. Die Kripo-Beamten sind in Zivil immer hinter unserem Bus hergefahren.

Wir hatten ein Spiel in Halle, was ca. eine halbe Stunde Fahrzeit entfernt ist. Wir mussten einen Umweg von anderthalb Stunden fahren, weil die Sicherheitskräfte Angst hatten, dass die Fans auf dem direkten Weg irgendetwas machen könnten. Heute hat es sich beruhigt, auch wenn es immer noch ein, zwei Vorfälle gab. Das hat einen damals jedoch abgehärtet.

Jawattdenn.de: Ich stelle mir die Atmosphäre im Stadion sehr aggressiv vor. Nun warst Du zwanzig und hast das anders erlebt, als Du es heute tun würdest. Aber ist das anstrengend ein pfeifendes Stadion gegen sich zu haben oder bist Du eher der Oliver-Kahn-Typ, der so etwas richtig genießt?

Benjamin Baier: Ich find es schon geil, wenn alle pfeifen. Mit zwanzig war ich aber schon beeindruckt, als ich zum ersten Mal miterlebt habe, wie es im Stadion zuging. Ich habe mich ziemlich schnell daran gewöhnt. In Magdeburg haben uns 10.000 Menschen bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen, das fand ich am Ende sogar positiv für die eigene Motivation.

Jawattdenn.de: Die Medien begleiten das Projekt Rasenball Leipzig sehr unterschiedlich. Traditionelle Berichterstatter lehnen es heute noch ab, andere Medien schreiben sehr begeistert über einen Klub, der neue Wege geht. Dass die Verantwortlichen sehr professionell arbeiten stellt sicher niemand in Frage. Aber gehen sie dort wirklich neue Wege, die es so im deutschen Profifußball nicht gibt?

Benjamin Baier: Ich habe beides schon mitgemacht. In Offenbach war ich bei einem klassischen Traditionsverein und dann bin ich nach Leipzig gegangen. Es war schon damals in der vierten Liga extrem professionell. Die haben mit Sinn und Verstand den Weg des Vereins geplant. Mal unabhängig vom Geld hatten die einen klaren Plan und mit Ralf Rangnick haben sie eine weitere Stufe an Professionalität erklommen.

Man kann das selbstverständlich kritisch beobachten. In England läuft es heutzutage zum Beispiel nur noch über Investoren. Auch wenn ich mir dieses Modell für Deutschland nicht wünsche, hat Leipzig die vorhandene Lücke gut genutzt. Für meine Entwicklung war der Wechsel sehr gut, da ich dieses Arbeiten miterleben konnte. Wir hatten damals schon einen Zuschauerschnitt von 6-8.000. Daran sieht man, dass der Standort Leipzig nach Profifußball gelechzt hat und deswegen auch sinnvoll ausgewählt war. Auch wenn Leipzig nicht die Tradition von Lok oder Chemie hatte, haben die Zuschauer den Verein trotzdem angenommen.

Jawattdenn.de: Warum bist Du nach nur einem Jahr nach Darmstadt gegangen?

Benjamin Baier: Ich bin mit einer Verletzung nach Leipzig gegangen. Außerdem ist der Trainer, der mich geholt hat, Thomas Oral, ebenfalls gegangen. Mein Vertrag lief aus und das Angebot aus Darmstadt kam. Da ich wieder in die Nähe der Heimat zurück wollte, musste ich nicht lange überlegen. In Darmstadt hatte ich sehr schöne Jahre.

Jawattdenn.de: Du hast in Darmstadt das ganz große Drama miterlebt. Eine Saison seid Ihr sportlich abgestiegen und habt den Klassenerhalt durch den Lizenzentzug von Offenbach feiern können. Im darauf folgenden Jahr kam dann der Aufstieg. Ist eine normale Saison nicht auch mal schön?

Benjamin Baier: Die ersten beiden Jahre waren sehr schön. In der Abstiegssaison war es turbulent. Mitten in der Hinrunde ist der Trainer Kosta Runjaic nach Duisburg gewechselt. Dessen Nachfolger ist in der Winterpause gegangen, weil wir Letzter waren. Dann kam Dirk Schuster und wir haben auf gut Deutsch gesagt aus Scheiße Gold gemacht. Wir sind noch an die rettenden Plätze herangekommen, haben es letztlich aber nicht geschafft. Wir waren im Tal der Tränen, haben aber nach dem Abstieg das Hessenpokalfinale trotzdem 4:1 gewonnen.

Wir sind als Absteiger in den Urlaub gefahren und nach einigen Tagen kam die Nachricht, dass da vielleicht doch noch etwas geht. Ich war nur noch am Handy im Urlaub. Dass es dann meinen Ex-Klub Offenbach getroffen hat, war schade, für uns und Darmstadt 98 war es aber sensationell, dass wir drin geblieben sind.

Es war eine unsichere Zeit für mich. Als Absteiger hatte ich keinen Vertrag. Dazu kam, dass ich mich kurz vor Schluss verletzt habe und dann ohne Vertrag da stand. Mit dem Klassenerhalt lief mein Vertrag in Darmstadt doch weiter. Diese Situation wünsche ich keinem, aber ich habe auch diese Zeit durchgestanden.

Für die ganze Mannschaft grenzte die weitere Entwicklung an ein Wunder. Eine Absteigermannschaft kam in die Aufstiegs-Relegation und auch die haben wir geschafft. Danach kam dann noch der Durchmarsch. Das war Wahnsinn!

Jawattdenn.de: Wie schwierig war es für Dich, den Verein nach dem sensationellen Aufstieg zu verlassen.

Benjamin Baier: Durch meine zweite schwere Knieverletzung kam ich erst im November 2013 zurück in die Mannschaft. Wenn es in einer Mannschaft läuft, muss man sich jedoch erst einmal hinten anstellen. Ich habe um meinen Platz gekämpft und noch einige Spiele gemacht.

Der damalige Essener Trainer Marc Fascher hat sich schon sehr früh um mich bemüht. Ich werde nie vergessen, dass er mich am 1. April angerufen hat, weil ich dachte, es sei ein Aprilscherz. Wir haben uns schnell getroffen und ich war beeindruckt.

Zunächst habe ich überlegt, weil wir in Richtung zweite Liga unterwegs waren. Da fragt man sich, warum man den Schritt zurück machen soll. Es waren überragende Gespräche und ich habe mich daraufhin näher mit RWE befasst. Ich habe mir den Wechsel dann schnell vorstellen können. Ich hätte das nicht überall hin gemacht. Wir waren uns schnell einig und drei Wochen vor Saisonende habe ich den Vertrag unterschrieben. Nach dem Aufstieg denkt man zwar kurz nach, aber ich habe mich bewusst für Essen entschieden und bereue es bis heute nicht. Ich bin mit dem Ziel hier hingekommen, in die Dritte Liga aufzusteigen und dieses Ziel ist noch offen. Ziele muss man im Leben haben.

Jawattdenn.de: Wie schnell hast Du Dich im Ruhrgebiet eingelebt?

Benjamin Baier: Ich habe mich schnell eingelebt, die Jungs hier haben es mir auch leicht gemacht. Zunächst war ich allein hier, denn meine Frau war in der Heimat, wo sie unser Kind bekommen hat. Trotz der Fernbeziehung habe ich mich schnell eingewöhnt. Ich mag die direkte Art hier im Ruhrgebiet. Meine Frau, mein Kleiner und ich fühlen uns hier bis heute pudelwohl.

Jawattdenn.de: Du hast Deinen Vertrag bis 2020 verlängert und wirst dann sechs Jahre das RWE-Trikot tragen. Das ist in dem schnelllebigen Fußballgeschäft eine lange Zeit. Hättest Du Dir 2014 vorstellen können, dass RWE einen solchen Stellenwert in Deiner Karriere einnehmen würde?

Benjamin Baier: Ich bin keiner, der jedes Jahr den Verein wechselt, auch wenn ich nur ein Jahr in Leipzig war. Dagegen habe ich viele Jahre in Darmstadt und Offenbach gespielt. Ich habe damals aber erst einmal nicht weiter als die zwei Jahre gedacht, die im Vertrag standen. Ich fühle mich bis heute so wohl hier, dass ich den Vertrag 2016 und in diesem Sommer verlängert habe. Ich habe außerdem noch Ziele mit RWE. Der Verein ist mir richtig ans Herz gewachsen und ich will ihn voranbringen. Da ich das Vertrauen von der sportlichen Führung erhalten habe, waren wir uns schnell einig. Sechs Jahre sind die längste Zeit, die ich in meiner Karriere bei einem Verein war. Das freut mich, dass ich so lange Zeit bei so einem Verein spielen und meine Leistung bringen kann.

Jawattdenn.de: Das Vertrauen wurde anhand der schnellen Vertragsverlängerung deutlich. Karsten Neitzel kam Anfang April 2018 und kurz darauf hast Du den Vertrag verlängert. Hat Dir der Trainer oder der sportliche Leiter gesagt, wieso sie auf Dich bauen?

Benjamin Baier: Wir haben schon vorher Gespräche geführt. Nachdem klar war, dass Agirios Giannikis wechseln wird, wollten wir allerdings abwarten, wer Trainer wird. Karsten Neitzel hat schon vor seiner Verpflichtung die Spiele angeschaut und wenn er sein Go nicht gegeben hätte, säßen wir heute nicht zusammen. Ich freue mich, dass der Trainer das Vertrauen in mich gesetzt hat.

Jawattdenn.de: Im Jawattdenn-Interview hat Jürgen Lucas Dich besonders gelobt, weil Du vorangegangen bist und mit einem Teil Deines Gehaltes beim neuen Vertrag ins Risiko gegangen bist. Warst Du Dir sicher, dass sich dieses Risiko auszahlen wird?

Benjamin Baier: Als Familienvater muss man auch andere Faktoren als nur Geld betrachten. Meine Familie fühlt sich hier wohl. Ich weiß, was ich an diesem Verein habe und umgekehrt weiß der Verein, was er an mir hat. Sicherlich muss ich meine Familie ernähren, aber in den Gesprächen zwischen uns war nicht das Geld im Vordergrund. Ich habe das in Kauf genommen, weil ich von der Mannschaft und der Vision hier überzeugt bin. Die Gespräche mit Jürgen Lucas und Markus Uhlig waren super und so waren wir uns schnell einig.

Jawattdenn.de: Es ist auch eine Bestätigung, wenn der Trainer Dich als Kapitän behält. Kannst Du beschreiben, welche Aufgaben dieses Amt mit sich bringt?

Benjamin Baier: Man ist der verlängerte Arm des Trainers. Man muss gucken, dass alles weiterhin zusammenpasst. Diese Aufgabe übernehme nicht nur ich. Wir haben mehrere Führungsspieler und einen Mannschaftsrat. Man kümmert sich um alles. Gerade wenn es nicht läuft, muss man vorangehen. Ich bin aber kein Alleinunterhalter. Am besten ist aber, es läuft wie im Moment, da macht die Mannschaft es einem sehr leicht.

Jawattdenn.de: Ich erlebe in diesem Interview einen sympathischen Fußballer. Wenn ich auf der Tribüne das Spiel gucke, dann kann man Dich im modernen Fußballjargon einen „aggressive leader“ nennen. Ist dieses Auftreten bewusster Teil Deines Fußballspiels?

Benjamin Baier: Wenn man mich privat kennt, bin ich ein ausgeglichener Mensch. Auf dem Platz habe ich einiges von meinem Vater mitbekommen. Ich kann die Emotionen nicht steuern, es kommt dann einfach so und es ist meine Art Fußball zu spielen. Ich bin aber etwas ruhiger geworden. (lacht)

Jawattdenn.de: Viele Fußballer haben eine besondere Beziehung zu Ihrer Rückennummer. Mit der 31 hast Du zwar keine der typischen Rückennummern, aber bei der Recherche habe ich sehr viele unterschiedliche Nummern gefunden. Hast Du keine besondere Beziehung dazu?

Benjamin Baier: Die 31 ist mir damals von Marc Fascher zugeteilt worden. Er hat damals gesagt, ich sei sein Schweinsteiger. Ich wollte eigentlich eine andere, aber so blieb mir nichts anderes übrig. Als 19-jähriger habe ich mir mal eine Nummer gewünscht, das war die Zehn. Mit dieser Nummer habe ich mich sehr schwer verletzt, deswegen wollte ich diese Nummer nie mehr wieder haben. Der Rest ist mir seitdem egal. Die 31 wechsle ich nun aber nicht mehr.

Jawattdenn.de: Das ist eine interessante Geschichte: Ist es üblich, dass Trainer ihren Spielern die Nummern vorgeben?

Benjamin Baier: Das habe ich noch nicht erlebt. Ich fand es aber ziemlich witzig und wir haben darüber immer mal gescherzt.

Jawattdenn.de: Wie erlebst Du den Kontakt zu den RWE-Fans?

Benjamin Baier: In den Jahren hier habe ich alles erlebt; es gab gute und weniger gute Zeiten. Es gab wenige Situationen, die unangenehm waren und nichts mehr mit Fußball zu tun hatten, aber man kann diese wenigen Leute nicht mit allen RWE-Fans gleichsetzen. Ein paar Menschen, die Grenzen überschreiten, gibt es überall.

Jeder, der hier einmal im Stadion war, sieht, was hier los ist. Es ist sensationell. Wir sind Vierte Liga und die Fans opfern viel für diesen Verein. Davor muss man den Hut ziehen, und vor dem Hintergrund versteht man auch, dass die Leute sauer sind, wenn es nicht läuft.

Ich finde es super, wie viele Gedanken sich die Fans machen. Vor der Saison waren Fanvertreter bei uns und haben uns ihre Unterstützung zugesagt. In deren Augen hat man gesehen, dass sie diesen Verein leben. Wo gibt es das noch, dass so viele Zuschauer in der Vierten Liga kommen? Es macht Spaß vor so vielen Fans zu spielen.

Jawattdenn.de: Wenn Grenzen überschritten werden, gehst Du ja voran und drückst den Leuten ebenfalls mal einen Spruch.

Benjamin Baier: Es geht ausschließlich um das Wie. Keiner lässt sich gern mit Bier überschütten. Dann gab es auch Versuche, die Kabine zu stürmen. Das muss nicht sein. Dagegen ist es in Ordnung sauer zu sein und seine Kritik direkt loszuwerden. Wir haben uns dem auch in jedem Spiel gestellt.

Jawattdenn.de: Verfolgst Du Reaktionen auf Spiele in Zeitungen oder sozialen Medien?

Benjamin Baier: Selbst wenn man sagt, man liest nichts, bekommt man trotzdem alles mit in der heutigen Zeit. Ich bin lang genug im Geschäft, dass es mir nichts mehr ausmacht, ob über mich gut oder schlecht geschrieben wird. Spieler kommen eher in jüngeren Jahren nicht damit klar, wenn über sie schlecht geschrieben wird, oder drehen eher durch, wenn positiv über sie geschrieben wird. Ich weiß das mittlerweile einzuordnen.

Jawattdenn.de: Was war Dein schönstes Erlebnis bei RWE?

Benjamin Baier: Es gibt einige Momente. Die Pokalspiele waren toll. Das Stadion war immer ausverkauft, egal ob es die Niederrheinpokalfinals waren oder die DFB-Pokalspiele. Auch die Herbstmeisterschaft war toll. Es war ein Freitagabendspiel gegen Wiedenbrück: Was da los war. Auch das Aachenspiel, bei dem 6.000 Essenfans mitgefahren sind, war toll. Es gab auch weniger schöne Momente, ich erinnere mich aber lieber an diese schönen. Wenn man an der Hafenstraße gewinnt, ist es immer klasse. Deswegen hoffe ich, dass noch einige schöne Momente dazukommen.

Jawattdenn.de: Ich hätte gedacht, das Tor gegen Mönchengladbach wäre das beste gewesen?

Benjamin Baier: Das war ein geiles Erlebnis. Es waren 78 super Minuten und die Stimmung war sensationell. Da haben wir fußballerisch ein sehr gutes Spiel gemacht. Aber auch die Spiele gegen Düsseldorf und Bielefeld, bei denen wir ins Elfmeterschießen kamen, waren klasse. Wir sind nie unter die Räder gekommen. Es wäre schön gewesen, wenn wir es einmal geschafft hätten.

Jawattdenn.de: In vier Jahren RWE hast Du einige Spieler kommen und gehen sehen. Hast Du noch zu ehemaligen Mitspielern Kontakt?

Benjamin Baier: Es gibt schon ehemalige Mitspieler, mit denen ich Kontakt habe. Die Spieler, mit denen ich am meisten Kontakt habe, sind aber immer noch da.

Jawattdenn.de: 2020 wirst Du 32. Da ist es durchaus möglich noch ein paar Jahre Fußball zu spielen. Man muss aber schon überlegen, was danach kommt. Hast Du da schon Ideen?

Benjamin Baier: Die Gedanken mache ich mir immer. Ich würde gerne im Fußball bleiben. Es ist aber nicht einfach, weil beinahe alle Spieler gerne im Fußballgeschäft bleiben würden. Das lässt sich nicht so genau planen, da der Fußball so schnelllebig ist. Ich möchte aber so lange weiterspielen, wie es mein Körper zulässt.

Jawattdenn.de: Der Körper ist ein wichtiges Stichwort. Du hast sehr schwere Verletzungen in jungen Jahren hinter Dir. Mit 20 hattest Du Verletzungen, die man umgangssprachlich als Totalschaden im Knie bezeichnet. Später hattest Du noch einen Knorpelschaden im Knie. Sind das Zeiten, in denen Du gemerkt hast, dass der Traum vom Fußball in Gefahr ist?

Benjamin Baier: Die erste Verletzung habe ich mir am 1. November 2008 gegen Unterhaching zugezogen. Das Datum werde ich auch nie vergessen. Ich bin zu einem Spezialisten nach Augsburg gegangen, der mir sagte, ich könne mit Glück noch vier bis fünf Jahre Fußball spielen. Ich wollte aber kämpfen und meinen Traum nicht aufgeben. Ich durfte ein Jahr kein Fußball spielen, diese Zeit war sehr hart für mich.

Meine Familie hat mich damals aufgefangen. Mein Bruder hat organisiert, dass ich in Augsburg operiert werden konnte. Ich habe ein paar Tage bei ihm gewohnt und er hat sich um mich gekümmert, weil er schon zu der Zeit dort gespielt hat. Ich bin jeden Tag acht Stunden zur Reha gegangen. Ich hatte das Ziel, so schnell wie möglich zurückzukommen. Auf dem Platz hatte ich einen Rückschlag und musste wieder unter das Messer. Da brauchst du mentale Kraft. Es war für mich eine lehrreiche Zeit.

Ich habe das Leben anders gesehen und habe gelernt, den Fußball, den Job, den ich machen darf, sehr zu schätzen. Bei der zweiten Knieverletzung kam es für mich nicht in Frage, aufzugeben. Ich habe mir gesagt, dass ich es noch einmal schaffen kann. Ich habe es in Rekordzeit von vier bis fünf Monaten zurück geschafft. Seitdem habe ich zum Glück nichts mehr gehabt. Ich habe nur ein paar Spiele gefehlt und das waren eher Gelbsperren. (lacht) Ich mache allerdings sehr viel dafür. Wenn man ein Handicap hat, muss man mehr dafür tun als andere. Man muss mehr auf sein Knie achten.

Jawattdenn.de: Zum Abschluss: Was willst Du mit RWE bis 2020 erreichen?

Benjamin Baier: Den größtmöglichen Erfolg. (lacht) Ich habe mit Darmstadt einen Aufstieg miterlebt, etwas Schöneres gibt es nicht. Es gehört aber viel dazu. Hier bei RWE muss man gefühlt mehr machen, weil alle gegen RWE besonders motiviert sind. Wir müssen von Spiel zu Spiel gucken, dass wir unsere bestmögliche Leistung bringen und wir den größtmöglichen Erfolg haben. Was im Mai ist, braucht uns heute noch nicht zu interessieren.

Jawattdenn.de: Vielen Dank für das ausführliche Interview.

Das Interview führte Hendrik Stürznickel