07.02.2018

"Der Fan ist nicht als Kunde zu sehen!" - Interview mit Marcus Uhlig

von Hendrik Stürznickel

Schon vor einigen Wochen trafen wir uns mit dem Vereinsvorsitzenden Marcus Uhlig. Durch die verschiedenen Meldungen über RWE in den letzten Wochen musste das Interview angepasst werden, sodass wir nun unser aktuelles Einstiegsinterview mit Marcus Uhlig präsentieren können. Der neue Vorstandsvorsitzende zeigte sich begeistert und zupackend und nimmt Stellung zur Saisonplanung 2018/19, seiner Verbindung zu RWE und Streitpunkten mit den Fans.

Jawattdenn.de: Guten Tag, Marcus. Nach den ersten Wochen im Amt: Bereust Du Deine Entscheidung, zu RWE zu wechseln, schon oder ist der Verein noch zu retten?

Marcus Uhlig: Zur ersten Frage: Nein, ich bereue die Entscheidung natürlich nicht und hoffe, dass ich es nie bereuen werde. Zur zweiten Frage: Ja, der Verein ist zu retten. Ich sehe den Verein im Gegenteil in einer sehr guten und stabilen Position. Die Struktur ist so aufgestellt, dass wir daran arbeiten können, der Erwartungshaltung aller nach und nach gerecht zu werden. Diese Erwartungshaltung bekomme ich von allen Seiten mitgeteilt. Erstens soll der Verein aufsteigen und zweitens soll ich keine Schulden machen. Die Basis für die Erfüllung dieser Erwartungen ist gelegt.

Jawattdenn.de: Was sind denn momentan die größten Baustellen für Dich?

Marcus Uhlig: Neben dem operativen Tagesgeschäft gibt es in einem Verein meistens drei bis fünf große und manchmal auch unangenehme Themen. Die gibt es hier zwar auch, es gibt hier aber keine existenziellen Fragen. So können wir den Fokus schnell auf das Sportliche richten. Damit meine ich nicht nur den Erfolg der Ersten Mannschaft, sondern auch die Weiterentwicklung des Nachwuchsleistungszentrums. Momentan steht bei uns natürlich die Trainersuche an erster Stelle.

Jawattdenn.de: Du warst an der Vertragsgestaltung von Giannikis nicht beteiligt. Es ist auch nachvollziehbar, dass man bei den vergangenen Erfahrungen keinen Drei-Jahres-Vertrag angeboten hat. Hast Du denn in Erfahrung bringen können, warum nicht einmal eine Option in Giannikis Vertrag festgeschrieben wurde, sodass RWE wenigstens finanziell profitiert hätte?

Marcus Uhlig: Von außen und gerade im Nachhinein sind solche Dinge immer sehr leicht zu bewerten. Man darf sich aber die Aushandlung eines Vertrags nicht so vorstellen, dass man dem Gegenüber etwas hinwirft, so nach dem Motto „so machen wir das jetzt“, ohne selbst weitere Zugeständnisse machen zu müssen. Eine einseitige Option für den Verein wäre zwar schön gewesen, aber so einfach ist das eben nicht. Die Situation war doch so: Man wollte Giannikis damals gerne verpflichten, weil man von ihm inhaltlich absolut überzeugt war. Ein Eindruck, der sich im Nachhinein nun auch als absolut richtig und gerechtfertigt herausgestellt hat. Allerdings war ein gewisser Zeitdruck gegeben. Beide Seiten haben daher einen Vertrag mit der Absprache ausgehandelt, sich sehr zeitnah – und das ist ja dann auch passiert – zusammenzusetzen um eine längerfristige Zusammenarbeit zu vereinbaren. Mitte Dezember, also nach gerade einmal vier absolvierten Ligaspielen, haben wir die diesbezüglichen Gespräche aufgenommen. Da ist meines Erachtens also niemandem von Vereinsseite auch nur ansatzweise ein Vorwurf zu machen.

Jawattdenn.de: Inwieweit wirft der Ausstieg des Trainers die Saisonplanung für 2018/2019 zurück? Oder wird diese unabhängig von der Trainerfrage fortgeführt?

Marcus Uhlig: Was die bisherigen Planungen für die neue Saison angeht, wirft uns das schon ein Stück weit zurück, weil der Trainer mit seinen Vorstellungen nun einmal mindestens mit ausschlaggebend dafür ist. Allerdings muss man sagen, dass hier ausgesprochen frühzeitig an der neuen Saison gearbeitet wurde. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir uns immer noch an einem sehr frühen Zeitpunkt befinden. Unser Ziel ist nun also, schnellstmöglich einen neuen Trainer zu finden, um dann auch wieder detaillierter in die Planung gehen zu können. An allem was unabhängig vom Trainer bereits auf den Weg gebracht werden kann, arbeiten wir natürlich parallel weiter.

Jawattdenn.de: Gehen wir zum Anfang zurück: Wie kam der Kontakt zu Rot-Weiss zustande?

Marcus Uhlig: Ich habe seit sechs Jahren losen und unregelmäßigen Kontakt zu Michael Welling. Als RWE-Fan habe ich den Verein darüber hinaus immer beobachtet und damals natürlich mitbekommen, dass Rot-Weiss das Insolvenzthema sehr gut gelöst hat. Als Geschäftsführer von Arminia Bielefeld war ich in der ersten Zeit gehalten, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Falls es dort kritisch geworden wäre, wollte ich mich bei Michael erkundigen, wie man dieses Thema angehen kann. Deswegen habe ich ihn damals angerufen. Seitdem haben wir uns immer mal getroffen oder gesprochen und ausgetauscht. In meiner fußballfreien Zeit in den letzten Monaten haben wir es dann endlich einmal geschafft, gemeinsam Essen zu gehen. Daraus ist ein engerer Kontakt geworden und wir haben einige Ideen besprochen.

Irgendwann wurde es konkreter, als Michael Welling zart angedeutet hat, wie es mit Rot-Weiss Essen weitergehen könnte. Dann haben wir konkreter gesprochen und ich habe den Aufsichtsrat kennengelernt.

Jawattdenn.de: Du bist bekanntermaßen RWE-Fan. Rheinberger Bekannte sagen, dass es in der Stadt zwei Vereine gibt, man ist nämlich entweder MSV oder Mönchengladbach-Anhänger. Wie bist Du dort zum Verein RWE gekommen?

Marcus Uhlig: Nick Hornby hat gesagt, nicht du suchst dir den Verein, sondern der Verein sucht dich aus. Ich bekomme das ehrlich gesagt nicht mehr genau hergeleitet. Mein Bruder und ich waren von frühester Kindheit an fußballbegeistert. Wir haben Radioreportagen aufgenommen, angehört und nachgesprochen und Rot-Weiss Essen war damals oft präsent. Wir waren dann RWE-Fans, ohne dass wir vorher andere Mannschaften hatten. Das hat bis heute gehalten.

Jawattdenn.de: Gibt es einen Lieblingsspieler oder ein besonderes Spiel, was im Gedächtnis geblieben ist?

Marcus Uhlig: Ganz viele besondere Erlebnisse verbinde ich mit dem Verein. Ein Spiel Rot-Weiss gegen Schwarz-Weiß im Jahr 1985 in der Oberliga Nordrhein vor voller Hütte war eindrucksvoll. Das war so dicht, so laut, so atmosphärisch, so fanatisch. Die Aufstiegsrunden 1985 und 1986 werde ich ebenfalls nicht vergessen. Damals bin ich zu allen Spielen und natürlich auch zum letzten Spiel gegen Schöppingen nach Münster gefahren. 1992 das Lipinski-Tor im Pokal oder das Pokalfinale sind unvergesslich. Da haben wir eine ganze Wochenendtour hingemacht. Ich möchte das nicht werten, wir sind früher überall hingefahren, aber das verhaftet einen für immer. Dass das hier etwas Besonderes war, dass die Atmosphäre noch lauter, noch fanatischer, noch spezieller war, das hat man als Jugendlicher schon bemerkt. Das war hier etwas ganz anderes als in Duisburg oder Uerdingen, wo wir früher auch waren. Das hat uns angefixt.

Jawattdenn.de: Es war in Deiner Bielefelder Zeit durchaus bekannt, dass Du Sympathien für RWE hegst. Wird das nicht in Krisenzeiten gegen einen benutzt?

Marcus Uhlig: Ich hatte eine tolle Zeit in Bielefeld. In den Foren wurde das mal mehr und mal weniger ernsthaft zum Vorwurf gemacht. Nur weil man irgendwo arbeitet, legt man ja die Begeisterung nicht ab.

Nichtsdestotrotz war die Zeit in Bielefeld emotional und mein Herz wird auch immer ein bisschen schwarz-weiß-blau schlagen. Das rot-weisse Herz war aber nie raus und ist jetzt wieder voll da.

Jawattdenn.de: In einer Bielefelder Tageszeitung steht, dass Du zunächst pendeln willst. Soll das ein Dauerzustand bleiben oder ist langfristig ein Umzug ins Ruhrgebiet geplant?

Marcus Uhlig: Das stimmt so nicht. Zunächst ist in der Arbeitswoche mein Lebensmittelpunkt hier. Ich habe die vorteilhafte Situation, dass ich in dieser Zeit bei meiner Mutter wohnen darf. Die wohnt keine 30 Kilometer entfernt. Wenn nach dem Spiel ein Tag frei ist, dann bin ich in Bielefeld. Das ist eine gute Regelung, weil keiner auf mich wartet, wenn es hier auch mal bis spät abends geht. Ob, wie und wann die Familie Uhlig ihren Lebensmittelpunkt in die Gegend verlegt, müssen wir mal sehen. Ich pendele also nicht.

Jawattdenn.de: Die Hoch-3-Aktion ist auf der Hälfte angekommen und geht im Sommer in ihre letzte Saison. Wie glücklich bist Du, diese Aktion geerbt zu haben?

Marcus Uhlig: Ich finde den Ansatz von Hoch-3 richtig. Häufig wird das Projekt verkürzt. Dann heißt es erst, RWE will aufsteigen und einen Tag später dann, RWE muss aufsteigen. Das transportiert eine Erwartungshaltung und das lässt das extreme Umfeld durch die Decke schießen.

Ich bin aber nicht unglücklich damit, weil ich es richtig finde, sich im Fußball Ziele zu setzen. Der Club hat 2016 ausgesprochen, was alle wollen: Wir wollen aufsteigen. Innerhalb der kommenden drei Jahre. Für dieses Ziel brauchen wir Geld, von daher war der Ansatz goldrichtig. Mein Ansatz ist, dass wir alles dafür tun werden, um dieses Ziel zu erreichen. Das gehen wir jetzt an.

Jawattdenn.de: Im Sommer laufen Verträge auch von Leistungsträgern aus. Gibt es da bereits Gespräche oder will man die Entwicklung erst einmal abwarten?

Marcus Uhlig: Einerseits muss der neue Trainer ein genaueres Bild der Mannschaft bekommen, andererseits sind wir natürlich bereits dabei, die kommende Saison zu planen. Dabei können sich Meinungen durchaus ändern. Auch in die Planungen bin ich eingeweiht und involviert. Das ist angestoßen, aber dazu möchte ich inhaltlich noch nichts sagen.

Jawattdenn.de: In den vergangenen Jahren sollte ein Leitbild entstehen, in dem steht, was den Verein ausmacht und was ihn einzigartig macht, damit sich neue Mitarbeiter daran orientieren können. Konntest Du eine erste Rohfassung davon schon für Deine Einarbeitung nutzen?

Marcus Uhlig: Ich habe einen Entwurf gelesen und daran wird auch weitergearbeitet. Wichtig ist, dass dieses Leitbild von innen kommt und wir keine Marketingagentur damit beauftragen. Ich finde es für viele Dinge spannend zu sehen, was diesen Verein unterscheidbar von anderen und einzigartig macht. Wir brauchen so etwas beispielsweise auch für die Zertifizierung des Nachwuchsleistungszentrums. Es ist also nicht nur etwas Schönes für die Homepage, sondern wir brauchen es konkret. Ich hoffe, dass wir das Leitbild in den nächsten Monaten finalisiert bekommen.

Jawattdenn.de: Viele Fans fragen sich, was für ein Kurs den Fans gegenüber seitens des neuen Vorstands eingeschlagen wird. Michael Welling war sehr forsch, kommunikativ, hat sogar im RWE-Forum geschrieben. Wie willst Du das handhaben?

Marcus Uhlig: Auf meiner ersten Pressekonferenz hat mich direkt ein Journalist gefragt: „Herr Uhlig, sind Sie denn auch so eine Rampensau wie der Michael Welling?“ (Gelächter) Jeder hat seine eigene Art. Ich glaube, ich bin auch ein sehr kommunikativer Typ. Ich lebe auch vom Austausch und will diesen Austausch auf Augenhöhe. Ob ich mich online in den sozialen Netzwerken und Foren da so proaktiv reinhänge, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Eine sehr mühselige und auch zum Teil schwierige Geschichte, wenn man sich dort auf offene Gefechte einlässt. Die Tendenz ist eher nein.

Was das Thema „Fans“ anbelangt: Ich hatte ein Gespräch mit der FFA, bei dem ich gesagt habe, dass ich hier ganz schnell verstehen möchte, wie – auch weil es eben nicht „den einen typischen Fan“ gibt – die Szene und das Umfeld ticken. Gibt es da Konflikte? Was ist da los? Um wen müssen wir uns kümmern? Ich möchte schnell mit den Protagonisten ins Gespräch kommen. Das sage ich nicht aus Höflichkeit oder um einen Antrittsbesuch gemacht zu haben, sondern um das Ganze genau kennen zu lernen. Dabei geht es mir weniger darum, das politisch einzubetten, sondern das Besondere hier – die Fans, die ein echtes Pfund sind – mit möglichst wenig Reibungsverlust – wieder voll und bedingungslos hinter uns zu bekommen. Ich habe noch nicht ganz verstanden, was da los ist. Aber ich würde es gerne verstehen und möchte versuchen, meinen Teil dazu beizutragen, dass wir das wieder homogen hinbekommen. Dieses ganz, ganz besondere und typische RWE-Feeling muss doch wieder hier rein ins Stadion.

Jawattdenn.de: Im Prinzip gibt es zwei große Streitpunkte im Verein. Zum einen das Thema Ausgliederung, das auch in Bochum gerade zu großen Reibereien führt. Wie lässt sich hier vermitteln und wie stehst Du grundsätzlich zum Thema Ausgliederung?

Marcus Uhlig: Die Ausgliederung ist ein sehr komplexes Thema, bei dem es in meinen Augen nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Man sollte bei einem schwierigen Thema versuchen, dieses möglichst einfach zu erklären. Da würde ich gerne ansetzen und in den Prozess einsteigen, der bereits angestoßen ist.

Da wir ja in der Realität leben: 50+1 wird fallen. Todsicher. Egal, ob man das jetzt gut oder schlecht findet. Die Frage ist also: Wie stellen wir den Verein zukunftsträchtig auf, ohne dass wir unsere Seele verkaufen? Und ohne, dass genau das passiert, wovor die Leute zurecht Angst haben. Verhältnisse wie bei 1860 München oder AC Mailand, wo die Clubs das Spielzeug von fragwürdigen Investoren geworden sind. Das wollen wir hier nicht. Wie kriegen wir das Ganze hier so entwickelt und so optimiert, dass wir nicht hinten rüber fallen, weil alle anderen sich plötzlich mit Geld aufladen, nur Rot-Weiss Essen nicht? Da müssen wir wirklich aufpassen. Aber andererseits dürfen wir das, was Rot-Weiss Essen ausmacht, nicht verkaufen. Wir dürfen da wirklich keinen Fehler machen, indem wir uns einfach nur öffnen und die falschen Leute hineinholen.

Die Ausgliederung war – ehrlich gesagt – in meinen ersten Wochen hier eher am Rande ein Thema. Ich glaube, dass es bisher ganz gut seitens des Vereins kommuniziert wurde. Auch die nächsten Schritte sind ja klar. Was ich unbedingt möchte ist, dass wir wirklich das beibehalten, was der Verein und Michael Welling angestoßen haben: Die Fans in einem ganz frühen Stadium mit in die Diskussion zu nehmen - sowohl was die Aufklärung als auch was die Kreation angeht. Es soll nicht so sein, dass wir hier irgendwas erschaffen und es den Fans hinwerfen. So nach dem Motto: „Hier, stimmt mal ab!“ Die Fans dürfen und sollen das zu einem frühen Zeitpunkt entscheidend mit begleiten. Das, was da hinterher bei rauskommt, muss den Verein absichern. Das steht über allem. Das Ergebnis muss in einer Form auch die Fans bzw. die Mitglieder mitbeteiligen. Vielleicht kriegt man ja auch ein Modell hin, dass – da gibt es in England verschiedene Spielarten – die Fans sogar als Teil der Gesellschafter einbezogen werden können. Das würde ich gerne mal zur Diskussion stellen.

Jawattdenn.de: Der andere Streitpunkt ist die Inregressnahme von einzelnen Fans bei Verbandsstrafen.

Marcus Uhlig: Die Diskussion habe ich natürlich mitbekommen. Das, was passiert ist, wie es kommuniziert wurde und auch die Reaktionen habe ich mitbekommen. Das Ganze passierte natürlich in einer sportlich bitteren und schwierigen Phase. Das kam wahrscheinlich auch noch dazu, so dass die Auspegelungen auf beiden Seiten vielleicht etwas heftiger und emotionaler waren. Ich setze mal auf meine vorhin schon gegebene Antwort: Wenn wir es hinbekommen, dass wir ins Gespräch kommen und es hier keine Gruppe gibt, die wir als Verein nicht erreichen, dann entschärft das – glaube ich – schon viel. Dann sollte man auch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner kommen.

Wir wissen, dass wir nicht aus jedem Fan einen Musterchorknaben machen können. Aber lasst uns doch zumindest auf so etwas wie einen kleinstgemeinsamen Nenner einigen, was hier geht und was hier nicht geht. Und dummerweise gehören halt zu den Dingen, die hier nicht gehen, ein paar Sachen dazu. Selbst wenn wir es ändern wollen würden und ich zu Pyrotechnik eine Einstellung hätte, die womöglich nicht konform damit ist, was offiziell erlaubt ist, spielt das keine Rolle. Wir spielen nun mal unter ganz gewissen Regularien. Also müssen wir überlegen, was wir zusammen machen können und was vielleicht eine Grauzone ist. Aber Dinge, die völlig klar auf der Hand liegen und sofort eine Sanktionierung verbandsseitiger Art nach sich ziehen, sind meiner Meinung nach auf der Liste der Dinge, die nicht gehen. Von daher finde ich den Gedanken, dass ein Verein sich grundsätzlich überlegt, zu einem gewissen Zeitpunkt Dinge mal weiterzugeben, nicht völlig verkehrt.

Was ich gerne dazu ergänzen möchte: Es hat sich ja über die subtilen Netzwerke schon herumgesprochen, dass wir uns in besagtem Fall auf einen Vergleich verständigt haben. Das war wirklich konstruktiv, so dass wir uns bei diesem Vergleich recht schnell verständigt haben. In meiner Wahrnehmung war es so, dass das bei dem jungen Mann ganz gut ankam. Und wenn ich das richtig verstanden habe, ist in dem Umfeld auch gesammelt worden, um diesen Vergleich begleichen zu können. Von daher empfinde ich die Art und Weise, mit der wir das Thema in dieser aufgeheizten Diskussion letztendlich gelöst haben, in Ordnung und in gewisser Weise auch als Zeichen.

Jawattdenn.de: Um nochmal auf die Fans als Pfund, wie du es formuliert hast, zurückzukommen. Können die Fans mit ihren Extremen – von großer Euphorie über eine hohe Erwartungshaltung bis ganz schnell zur Untergangsstimmung – auch hemmend für den Erfolg eines Vereins wirken?

Marcus Uhlig: Hinter so einer Frage verbergen sich ja verschiedene Aspekte. Zum einen: Ja, hier an der Hafenstraße aufzulaufen ist etwas anderes als auf der Bezirkssportanlage in Erndtebrück. Als Spieler der eigenen, aber natürlich auch als Spieler der gegnerischen Mannschaft. Dass extreme Auspegelungen in der Publikumsreaktion bisweilen bei dem ein oder anderen eigenen Spieler gewirkt haben, hat man sogar gesehen. Damit müssen wir umgehen. Damit müssen wir als Verein noch einmal differenzierter umgehen. Das andere ist, dass wir dann darüber reden müssen, wie wir mit den Fans kommunizieren und wie wir zusammenarbeiten können. Es gibt für mich im Fußball so ein paar Ehrenkodex-Geschichten. Wir haben alle das Revierderby zwischen Dortmund und Schalke gesehen. Man geht nicht vor dem Abpfiff. Man verlässt das Stadion nicht. Manche Schalke-Fans haben es getan, selber Schuld. Genauso – da denke ich sehr britisch – geht es nicht, während des Spiels Stimmung gegen die eigene Mannschaft zu machen. Das ist mein Ehrenkodexdenken bezogen auf das Verhalten im Fußballstadion. Manche Sachen haben eine Eigendynamik, sodass man das nicht immer steuern kann. Ich fände spannend mit den Leuten darüber ins Gespräch zu kommen, ob man versuchen kann, ein solches Ehrenkodexdenken zu definieren.

Wie gehen wir miteinander um? Was wollen wir eigentlich? Ich glaube, alle haben Spaß, wenn es hier richtig abgeht, im positiven Sinne. Wenn hier wieder diese unfassbare Atmosphäre herrscht, wie ich sie noch von der alten Hafenstraße kenne. Dazu gehört es für mich aber nicht, in einer Art und Weise zu agieren, dass die eigene Mannschaft nachvollziehbarerweise verunsichert wird. Zu sagen, dass das doch Profis sind, die damit klarkommen müssen, ist zu kurz gedacht. Damit kommt auch ein 20 Millionen Euro verdienender Fußballer nicht klar, wenn er verbal regelmäßig von den eigenen Leuten auf die Fresse bekommt. Ich kann und will keinem vorschreiben, wie er sich hier zu äußern hat, aber es ist überhaupt nicht hilfreich. Enttäuschung und Frust artikulieren darf man natürlich, aber auf der anderen Seite würde ich mir wünschen, dass alle das so sehen. Dass der Fan hier verdammt nochmal nicht als Kunde zu sehen ist, sondern als Teil des Ganzen, auch wenn er Eintritt zahlen muss, um dabei sein zu dürfen. Ich bin hier nicht in der Oper und nicht im Kino. Ich bin nirgendwo, wo ich weiß, wie es ausgeht. Ich bin hier, weil ich eben nicht weiß, wie es ausgeht. Ich bin hier, weil ich Teil dieser besonderen Hafenstraßen-Atmosphäre sein möchte. Und ich kann dazu beitragen, dass es positiv ausgeht und dann haben wir alle Spaß! Das waren jetzt viele Worte, aber wenn auch nur fünf Leute mehr das genauso sehen oder sich Gedanken machen, haben wir schon einen Anfang geschafft.

Das Interview führte Hendrik Stürznickel