"Wir kommen nicht um Investitionen herum"
Essens Stadtdirektor Christian Hülsmann erläutert im Interview mit Jawattdenn.de, wie der Stand der Dinge beim Stadionbau ist, was er vom neuen RWE-Vorstand hält und wie die Fans von Rot-Weiss Essen selbst das Stadionprojekt weiter voran treiben können.
Jawattdenn.de:
Herr Hülsmann, Sie waren am vergangenen Samstag beim 2:0 gegen Verl im Stadion. Hatten Sie eigentlich Angst?
Christian Hülsmann:
Warum?
Jawattdenn.de:
Es hätte Ihnen doch ein Stück aus der Tribünendecke auf den Kopf fallen können.
Christian Hülsmann:
Nein, das haben wir untersucht. Sonst wäre ich da nicht hingegangen. (lacht)
Jawattdenn.de:
Im Augenblick ist die Haupttribüne aber nur provisorisch geflickt, oder?
Christian Hülsmann:
Nein, das ist kein Provisorium. Als vor anderthalb Jahren ein Stück vom Dach heruntergekommen war, haben wir die Situation von einem Fachmann untersuchen lassen. Das hat Wochen gedauert und ich habe täglich gezittert, ob wir die Saison 2008/2009 überhaupt an der Hafenstraße durchführen konnten. Wir bekamen für zwei Jahre grünes Licht, aber auch die Auflage, das Dach regelmäßig überprüfen zu lassen. Die letzte Überprüfung war nach dem heftigen Schneefall neulich. Zum Glück sind keine Risse entstanden. Im Hinblick auf das Ende der zweijährigen Frist im Juni 2010 werden wir in den nächsten Wochen erneut eine umfassende Überprüfung vornehmen lassen, um gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen vor Ablauf der Frist durchführen zu können.
Jawattdenn.de:
Als Sie am Samstag im Stadion Platz nahmen und zum ersten Mal den Blick schweifen ließen über zwei Drittel Stadion und ein Drittel Bauruine, was war das für ein Gefühl? Verspüren Sie eher Druck, dass die Stadt handeln muss, Stolz, dass schon einiges passiert ist oder Zuversicht, dass es bald weitergeht?
Christian Hülsmann:
Der Druck überwiegt auf jeden Fall. Da muss etwas passieren! Wir kommen nicht umhin, in das Stadion zu investieren. Insbesondere die Haupttribüne, die alle Funktionsräume des Vereins beherbergt, ist marode. Das ist der Hauptgrund gewesen, warum ich mich persönlich vor zwei, drei Jahren dafür eingesetzt habe, dass die Stadt Essen das Thema enger an sich zieht, zumal auch die von Herrn Hempelmann avisierten privaten Sponsoren in der erhofften Zahl nicht zur Verfügung standen.
Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt, dass wir uns als Stadt darum kümmern, weil ich Angst hatte, dass uns irgendwann die Tribüne zusammenkracht – wie man sieht, waren meine Befürchtungen ja nicht so ganz abwegig.
Die Gegengerade ist im Unterbau ebenfalls über 50 Jahre alt. Die Überdachung kommt aus der Mitte der Siebziger Jahre. Auch diese Tribüne hat keine unendliche Nutzungsdauer mehr. Wir mussten uns schnell Gedanken machen, da wir die Haupttribüne nicht einfach abreißen können, so wie wir es mit der Westkurve Anfang der Neunziger Jahre gemacht haben. Schon damals hätte etwas passieren müssen.
Jawattdenn.de:
Bringen Sie uns doch bitte auf den Stand der Dinge. Ist der Bau nun gestoppt oder nicht?
Christian Hülsmann:
Es ist momentan nichts gestoppt und wir liegen noch voll im Zeitplan. Die GVE hat eine europaweite Ausschreibung durchgeführt und die Ergebnisse dieser Ausschreibung werden im Moment ausgewertet. Das Bauantragsverfahren ist ebenfalls weit fortgeschritten. Außerdem haben wir die komplette Juniorenabteilung auf die Bezirkssportanlage Mitte II in Altenessen verlegt. Wir haben den dortigen Rasenplatz mittlerweile mit einer Beleuchtung ausgestattet, damit die Mannschaften auch später am Abend dort trainieren können. Hinzu kommt, dass wir aus einem Ascheplatz im Laufe des Jahres einen Kunstrasenplatz machen und die Umkleiden ein wenig verbessern. Im Gegensatz zu dem, was diese Mannschaften vorher für Bedingungen hatten, ist diese Sportanlage in einem deutlich besseren Zustand.
Am Stadion haben wir damit begonnen, Leitungen zu verlegen. Wir müssen das Gelände auffüllen. Das Material dafür gewinnen wir u.a. aus dem Altendorfer Bereich. Dort entstehen neue Wohnsiedlungen im Rahmen des Programms „Neue Wege zum Wasser“. Es wird auch ein See entstehen, der Niederfeldsee, und anstatt den erforderlichen Aushub teuer zu lagern, egalisieren wir damit den Boden für das zukünftige Stadion. Dann brauchen wir nichts extra dazu zu kaufen. Das wird in den nächsten Wochen passieren.
Jawattdenn.de:
Hat das auch etwas mit dem angeblich belasteten Grund am Stadion zu tun? Es gibt das Gerücht, dass die, dass die Nordtribüne auf kontaminiertem Kriegsschutt gebaut wurde.
Christian Hülsmann:
Ich möchte das zwar nicht ausschließen, aber davon habe ich nie etwas gehört. Sollte es dort tatsächlich belastetes Material geben, fahren wir den Schutt eben weg. Das wäre kein Problem. Mit dem Aushub vom Niederfeldsee hat das nichts zu tun.
Jawattdenn.de:
Sie sagen also tatsächlich, im Moment laufe alles nach Plan?
Christian Hülsmann:
Ja, im Moment läuft noch alles nach Plan. Wir haben aber nun folgende zwei Problemstränge:
Als erstes haben wir ein haushaltrechtliches Problem. Die Stadt Essen hat infolge der Wirtschaftskrise durch Mehrbelastungen auf der einen und fehlende Einnahmen auf der anderen Seite einen Fehlbetrag von 150 Millionen Euro innerhalb dieses Jahres zu verkraften. Das wird auch in den nächsten Jahren nicht besser werden, bis sich die Wirtschaft wieder erholt hat. Wir sind dadurch von der Bezirksregierung als eine Kommune mit drohender Überschuldung eingestuft worden, weil wir in einem mittelfristigen Zeitraum unser Eigenkapital zu verlieren drohen. Wir hatten bisher eine Regelung, die vorsah, dass wir in Höhe von zwei Dritteln des Betrages, den wir jährlich tilgen, neue Kredite aufnehmen dürfen. Über diese so genannte Kreditrate haben wir das Thema Stadion eingeplant. Durch die Einstufung der drohenden Überschuldung bekommen wir diese Kreditrate nicht mehr, sondern müssen jedes einzelne Projekt von der Bezirksregierung absegnen lassen.
Als wir im letzten Jahr um diese Zeit mit der Bezirksregierung und der damalige OB Dr. Reiniger abschließend auch noch einmal persönlich mit Regierungspräsident Büssow das Stadionprojekt abgestimmt haben, war von dieser Einschränkung keine Rede. Es ist nie angedroht worden, dass wir so eingestuft werden. Wir sind bis dahin immer davon ausgegangen, dass nach einer erfolgreichen Abstimmung das gesamte Projekt abgesegnet ist. Anders ergibt das ja eigentlich auch keinen Sinn, da man eine einmal begonnene Maßnahme nur schlecht unterbrechen kann. Erst Ende August kam dann die – allerdings bis vor kurzem nur angedrohte - Hiobsbotschaft. Es ist also nicht so gewesen, dass wir den Spatenstich am 8. August als Teil des Wahlkampfes durchgeführt haben, sondern wir sind zu diesem Zeitpunkt wirklich davon ausgegangen, dass alles wie geplant durchgeführt werden kann. Herr Büssow hatte auch bis dahin in Interviews immer darauf hingewiesen, dass die Stadt dieses Projekt durchführen dürfe, da es unter die kommunale Selbstverwaltung fallen würde. Damals hatte allerdings auch noch niemand vor Augen, welche Auswirkungen die Weltwirtschaftskrise auf die Kommunen hat.
Wir sind Ende August von der Bezirksregierung informiert worden, dass uns die Einstufung als Kommune mit drohender Überschuldung droht. Wir haben gehofft, dass das frühestens ein Thema wird, wenn die Finanzierung des Stadions bereits gelaufen ist. Jetzt hat uns die Bezirksregierung im Januar plötzlich mitgeteilt, dass sie die Stadt ab sofort unter dieser Einstufung führt. Damit haben wir nicht gerechnet, zumal wir feste dabei sind, im April ein Haushaltssicherungskonzept im Rat vorzustellen, bei dem der Regierungspräsident sieht, dass wir die drohende Überschuldung vermeiden wollen. Der Schritt der Bezirksregierung, uns in diese Situation zu bringen, ohne dass sie aktuelle Zahlen hat, ist sehr ungewöhnlich. Dieses Problem trifft nicht nur das Stadion, sondern rund fünfzig weitere Projekte, die dadurch auf der Kippe stehen. Eine Straße, die bereits halb fertig ist, wird man aber leichter bei der Bezirksregierung durchbekommen, als ein Stadion, wo wir noch am Anfang stehen.
Das zweite Problem hängt mit dem Verein zusammen. Der Oberbürgermeister hat in Abstimmung mit den Fraktionen gesagt, dass er auch die wirtschaftliche Situation des Vereins beobachten möchte. Klar gesagt: Kann der Verein die vierte Liga halten? Dort liegt in meinen Augen das eigentliche Ärgernis. Wir haben RWE in den letzten Jahren vielfältig – auch finanziell - unterstützt. Ohne die Stadt und ihre Beteiligungsunternehmen wäre das böse Wort der Insolvenz aufgekommen. Zusammen mit den weiteren Partnern wie RWE und Sparkasse haben wir dem Verein eine Finanzausstattung gewährt, mit der andere Vereine locker den Aufstieg schaffen. Man sehe sich nur an, was Lotte in dieser Spielzeit mit weitaus weniger Mitteln erreicht! Rot-Weiss hat Anfang der Saison wieder groß eingekauft, ohne sich daran zu orientieren, wie viel Geld sie eigentlich zur Verfügung haben. Jetzt müssen sie deswegen heftig sparen, was nach unserer Auffassung mittlerweile auch stark angegangen wird. Wir sind diesbezüglich mit dem Verein permanent in Gesprächen. Ich habe im Moment die Hoffnung, dass der Verein die vierte Liga sportlich und wirtschaftlich halten kann. Das erfahren wir aber sicher erst im März, April, wenn das Lizenzierungsverfahren läuft.
Dann muss auch die Entscheidung fallen, ob wir mit dem Stadionbau fortfahren oder nicht. Wir sind sehr bemüht, die Fesseln der Bezirksregierung los zu werden, nicht nur wegen des Stadions, sondern weil wir ansonsten auch auf anderen Feldern nichts mehr zu sagen hätten. Wir wollen die Überschuldung mit einem drastischen Sparprogramm vermeiden. Wir sind sehr hoffnungsvoll im Verwaltungsvorstand, dass uns das gelingt, so dass wir die Fesseln spätestens im Juli wegbekämen. Wenn wir also im April gute Zeichen sehen, was die Lizenzierung betrifft, und die Bezirksregierung das Haushaltssicherungskonzept für stabil hält, das wir am 28. April in den Rat einbringen, dann müsste in etwa in der Zeit auch das endgültige Ja zum Stadion kommen.
Diese Entscheidung würde dann aber in eine Zeit fallen, in der Interessengruppen vor der Tür stehen könnten, deren Zuschüsse gekürzt werden oder die anderweitig von unseren Sparmaßnahmen betroffen sind. Aber: Eine Investition ist nun mal etwas ganz anderes, als laufende Kosten,die Jahr für Jahr entstehen. Zumal eine Ersatzinvestition, die unterm Strich wahrscheinlich nicht unbedingt mehr Folgekosten mit sich bringt wie das heutige Stadion. In den alten Kabachel müssen wir ja ständig Geld für irgendwelche kleineren oder größeren Reparaturen stecken. Trotzdem wird es für die Politik schwierig sein, die Entscheidung zu vermitteln und zu begründen, weil diese Unterschiede in der breiten Öffentlichkeit nicht verstanden werden. Ich kann nur hoffen, dass die Politik den Mut hat, sich dann zum Stadion zu bekennen. Von daher sind die Reaktionen, die aus dem rot-weissen Lager kommen, beispielsweise die Demo am 20. März oder das Spiel von Schönebeck einen Tag später, sehr wichtig. Auch die Transparente am Samstag auf der Osttribüne waren richtig und wichtig! Die Rot-Weiss-Familie muss kreativ zeigen, dass sie da ist und wie wichtig das Stadion ist. Wenn die Verteilungskämpfe losgehen, müssen sich die Fans zeigen. Sonst überlassen sie das Feld kampflos den anderen.
Jawattdenn.de:
Muss sich der Verein selbst auch zeigen?
Christian Hülsmann:
Es ist natürlich auch wichtig, dass das Thema vom Verein gepusht wird. Es muss ein Klima erzeugt werden, in dem deutlich wird, dass wir keinen Luxustempel bauen, sondern dass wir ein kaputtes Stadion haben und ohne neues Stadion keine Perspektive über Jahrzehnte für diesen Verein besteht. Nun kann man sagen: Der Verein hat die letzten dreißig Jahre nichts gerissen, da kommt es auf weitere dreißig auch nicht an. Wir alle hoffen aber, dass zumindest die zweite Liga erreicht werden kann, und dann hat dieses alte Stadion keine Zukunft. Man kann die Mannschaft auch nicht am Hallo oder Uhlenkrug spielen lassen…
Jawattdenn.de:
… die sind vom DFB nicht mal für die vierte Liga zugelassen.
Christian Hülsmann:
Genau! Der Uhlenkrug hat ebenfalls nur eine kleine Tribüne, die die besten Zeiten weit hinter sich hat. Das neue Stadion an der Hafenstraße ist somit notwendig, um Profifußball in Essen auf Dauer zu gewährleisten. Es würde natürlich auch helfen, wenn Rot-Weiss öfter gewinnen würde. Es fällt nämlich schwer, einem Bürger zu erklären, wieso wir 24 Millionen Euro Steuergelder für ein Stadion ausgeben, für einen Verein, der sportlich so darniederliegt.
Jawattdenn.de:
Nehmen wir einmal das Schlimmste an: Was würde passieren, wenn entweder RWE die Lizenz nicht erhält oder die Bezirksregierung ihrem Sicherungsplan nicht zustimmt?
Christian Hülsmann:
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Dann muss es einen Aufstand geben, damit wir das Stadion doch noch bekommen. Oder wir müssen uns einen Plan B einfallen lassen. Dann wird es vielleicht nicht dieses Stadion werden, sondern irgendeine Billiglösung, die unterm Strich aber nicht wirtschaftlich wäre, weil wir zehn Jahre später wahrscheinlich wieder über das Stadion sprechen würden. Ich bin im Moment aber optimistisch.
Jawattdenn.de:
Haben Sie diesen Plan B schon in der Tasche? Herr Martz, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, sagte neulich gegenüber Radio Essen, man müsse über die zugesagten Sponsorengelder neu verhandeln, sollte die Stadt ihre Stadionpläne ändern.
Christian Hülsmann:
Ich schätze, er hat da auf eine konkrete Frage geantwortet. Von uns gibt es jedenfalls im Moment keine Alternativpläne. Die Vereinbarung mit den Sponsoren sind allerdings darauf ausgerichtet, dass RWE mindestens in der vierten Liga spielt. Es war schwierig genug, ein großes Sponsorenpaket für einen Viertligisten zusammenzustellen. Die Firmen unterliegen schließlich Aufsichten, die die Werthaltigkeit der Investitionen prüfen. Diese Firmen wollen natürlich auch keine Unterstützung geben, wenn wir da eine Blechbüchse hinsetzen würden. Es gibt dazu aber keine Überlegungen. Wir wollen die Stadionpläne so umsetzen, wie wir sie der Öffentlichkeit präsentiert haben. Wir haben die Ausschreibungen schließlich auch für diese Pläne durchgeführt.
Jawattdenn.de:
Das heißt jetzt also konkret: Wir müssen uns bis mindestens Juli gedulden, bis wieder Bagger auf der Webcam zu sehen sind?
Christian Hülsmann:
Ich gehe davon aus, dass die Politik bereits eher eine Tendenz mitteilen kann. Ich habe außerdem den Eindruck, dass es im Rat nach wie vor eine große Mehrheit gibt, die dieses Stadion will. Es gibt sogar welche, die das Stadion auf jeden Fall haben wollen, ganz egal in welcher Klasse der Verein spielt. Deswegen glaube ich, dass wir eine Mehrheit haben werden, wenn die erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind. Wir haben auch gar keine Alternative. Wenn wir ein Stadion hätten, wo die Tribünen nicht nahezu kaputt sind, hätte ich dem Verein auch gesagt, dass sie erst einmal anständig spielen sollen, bevor wir über ein neues Stadion sprechen. Die Stadt hat reagiert, weil das Stadion irgendwann einzustürzen droht. Das muss nicht in unmittelbarer Zukunft geschehen, aber darauf zu spekulieren, dass die Tribüne noch zehn oder gar fünfzehn Jahre hält, halte ich für verwegen.
Jawattdenn.de:
Es gab vor einiger Zeit die Überlegung den Stadionbau mit dem Verkauf des Handelshofes gegenzufinanzieren. Dies wurde nicht weiterverfolgt. Warum?
Christian Hülsmann:
Die Bezirksregierung hat damals verfügt, dass wir die Verkaufserlöse für die Schuldentilgung und nicht für Neu-Investitionen einzusetzen hätten. Ursprünglich wollten wir den Handelshof in der Tat für zwanzig Millionen verkaufen und das als Basis für den Stadionbau nutzen. Das wurde verboten und wir haben nachverhandelt. Dann kamen die Mittel aus dem Konjunkturpaket. Die durften wir aber zunächst auch nicht für Sportanlagen nutzen. Es wurde dann der Vorschlag entwickelt, Maßnahmen, für die wir Kredite aufnehmen wollten, ins Konjunkturpaket zu schieben, um die freien Mittel für andere Dinge, zum Beispiel den Stadionbau, zu nutzen. Wir haben die dann die Mittel für das Stadion in die entsprechende Prioritätenliste eingestellt und die erste Rate im Dezember bereits an die GVE überwiesen. 2,5 von den 24 Millionen sind also schon bei der GVE auf dem Konto angekommen.
Jawattdenn.de:
Die Zeitungen schrieben, dass von dem Handelshof-Verkauf 6,8 Millionen in den städtischen Haushalt und 13,2 Millionen zur GVE gehen. Was passiert nun mit dem Geld?
Christian Hülsmann:
Der Handelshof steht auf einem städtischen Grundstück, gehört aber der GVE; sprich: die GVE verfügt über ein Erbbaurecht. Deswegen kommt der Verkaufserlös für das Grundstück dem städtischen Haushalt zu und der Erlös für das Gebäude dem Hauseigentümer, also der GVE.
Jawattdenn.de:
Das hat aber nichts mehr mit dem Stadionbau zu tun?
Christian Hülsmann:
Nicht direkt. Es ermöglicht der GVE aber, im Finanzmanagement etwas flexibler zu sein, also möglicherweise in Vorleistung zu gehen.
Jawattdenn.de:
Sie haben vorhin gesagt, dass die Stadt in den vergangenen Jahren viel Geld in den Verein investiert hat. Da kursieren viele verschiedene Zahlen. Wie viel städtisches Geld steckt denn wirklich in RWE?
Christian Hülsmann:
Wir haben zum Beispiel die Kölmel-Verträge abgelöst und die dortigen Rechte, zum Beispiel hinsichtlich der Vermarktung, übernommen. Nicht für die elf Millionen, die noch in den Büchern standen, aber es hat uns einige Millionen gekostet. Das Sponsoring der städtischen Gesellschaften in Rot-Weiss ist ebenfalls über die Jahre siebenstellig gewesen. Ich will keine konkreten Zahlen nennen, weil ich nicht der Vorstand der jeweiligen Gesellschaften bin. Die Sparkasse sehe ich ebenfalls stadtnah und die ist sogar als Trikotsponsor aufgetreten. Ich glaube, manche Zweitligisten würden sich nach einem solchen Sponsoring die Finger lecken. Es ist einfach schlecht gewirtschaftet worden. Deswegen ärgert mich immer das ganze Gejammere, wonach Stadt und Essener Wirtschaft den Verein im Regen stehen ließen, so wie es heute wieder in der Zeitung stand. Allein das Sponsoring durch Evonik bis vor zwei Jahren war erheblich, dass so mancher Zweitligist vor Neid erblasst ist. Neben Evonik hat, wie gesagt, auch der Konzern Stadt so manche Lücke geschlossen. Sonst gäbe es den Verein Rot-Weiss Essen in dieser Form heute nicht mehr.
Jawattdenn.de:
Sie sagen, über viele Jahre sei schlecht gewirtschaftet worden. Beziehen Sie sich rein auf das Geschäftliche oder auch auf den sportlichen Ertrag? Schließlich haben sich ja viele Sportmanager bei RWE in den vergangenen Jahren zu beweisen versucht.
Christian Hülsmann:
Es gibt keine Kontinuität. In den letzten Jahren haben ständig andere Mannschaften bei RWE gespielt. Man hat Probleme, die ganzen Trainer und sportlichen Leiter aufzuzählen, die beim Verein beschäftigt waren. Es hat auch beim Spielerkader deutlich mehr Wechsel gegeben als bei anderen Clubs. Es ist trotz des Geldes, was in ausreichendem Maße vorhanden war, offenkundig nicht gelungen, eine Mannschaft mit Aufstiegsqualitäten zusammenzustellen. Darüber hinaus muss auch dringend beherzigt werden, dass eben nicht mehr Geld ausgegeben werden kann als man einnimmt. Bei der Saisoneröffnung am Baldeneysee wurde Herr Watzke von Borussia Dortmund gefragt, wie er den Verein wieder auf Kurs gebracht habe. Er hat geantwortet, dass er nicht mehr Geld ausgeben hat, als er eingenommen hat. Dafür bekam er großen Applaus. Wahrscheinlich auch von Leuten, die genau wussten, dass das Konto bei Rot-Weiss bereits wieder überzogen war. Als ich Trainerstab und Mannschaft dann auf der Bühne gesehen habe, habe ich mich schon gefragt, ob das mit dem vorhandenen Budget zu stemmen war. Offenkundig war es das nicht.
Jawattdenn.de:
Die Stadt sponsert RWE nicht nur, sondern zieht auch an den Fäden. Und manchmal hat man das Gefühl, als sei RWE der Stadt ausgeliefert. Ein Beispiel hierfür: Die GVE hat das Vorschlagsrecht für einen kaufmännischen Geschäftsführer. Und obwohl klar ist, dass es ohne eine solche Person keine Lizenz gibt, wird einfach niemand vorgeschlagen.
Christian Hülsmann:
Es wird manchmal der Eindruck erweckt, dass der Verein angeblich nichts mehr selbst entscheiden kann. Das ist Unsinn. Die wichtigsten Dinge – wofür wird das Geld ausgegeben, welche Trainer werden verpflichtet, welche Spieler werden verpflichtet – entscheidet nur der Verein. Daraus haben wir uns immer herausgehalten. Es sollte Strukturveränderungen geben. Diese sind aber noch nicht umgesetzt, weil wir sie von der Bezirksregierung genehmigen lassen müssten und das ist zum jetzigen Zeitpunkt problematisch. Das ist auch Folge einer medialen Kampagne im letzten Jahr, bei der plötzlich zahlreiche regionale und überregionale Medien alle möglichen Fragen stellten. Nicht nur uns, sondern sogar der Bezirksregierung. Es war schon irritierend, welche Aufmerksamkeit plötzlich ein Viertligist republikweit genießt.
Seltsamerweise war die Kampagne mit der Kommunalwahl dann abrupt beendet. Übrigens: Aus der Tatsache, dass die GVE keinen Gebrauch von ihrem Vorschlagsrecht für einen kaufmännischen Geschäftsführer gemacht hat, kann man doch jetzt keine Entschuldigung herleiten, dass es im sportlichen und wirtschaftlichen Bereich nicht geklappt hat. Das wäre nun wahrlich zu kurz gedacht.
Jawattdenn.de:
Das war nur ein Beispiel. Ein weiteres: Herr Balensiefer, der von der Stadt als kaufmännischer Geschäftsführer eingesetzt wurde, gilt als Experte für Sportmarketing und Sportsponsoring. Dennoch hat man den Eindruck, dass die Unternehmen, die den Verein in hohem Maße sponsern, diejenigen sind, die von der Stadt kontrolliert werden, wie Sparkasse, Stadtwerke, Allbau,…
Christian Hülsmann:
Das ist doch nichts Falsches.
Jawattdenn.de:
Nein, aber was ist mit den anderen? Was ist mit Evonik oder Trimet? Herr Ehrke, der ehemalige Vorstandssprecher der Trimet, hat zum Beispiel im Reviersport-Interview gesagt, der Ausstieg seiner Firma habe auch mit den personellen Veränderungen an der Hafenstraße zu tun.
Christian Hülsmann:
Herr Ehrke hing offenkundig sehr an Herrn Hempelmann und Herrn Schäfer. Wenn das Sponsoring von Rot-Weiss Essen von Personen abhängt, die meiner Meinung nach den Verein nicht in Blüte hinterlassen haben, dann tut mir das leid. Ich hatte bereits zuvor Schriftverkehr mit Herrn Ehrke, als ich angeregt hatte, Rudi Assauer im Verein zu installieren. Diese Personalie war aber von Rot-Weiss Essen nicht gewollt und ich habe das letztlich akzeptiert. Auch in dem Zusammenhang hat die Trimet gedroht, das Sponsoring zurückzuziehen, sollte Assauer kommen. Meines Wissens hat aber Trimet wohl eher aus wirtschaftlichen Gründen das Sponsoring nicht mehr fortgeführt beziehungsweise reduziert.
Evonik hat dagegen offenkundig geprüft, was das langjährige intensive Sponsoring bei RWE letztendlich für das Unternehmen gebracht hat. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu vermuten, dass dieses Resümee nicht gerade positiv ausgefallen ist. Das hatte aber nichts mit der Stadt zu tun. Im Gegenteil, es ist eine Reihe von Sponsoren nur geblieben, weil die Stadt sich engagiert hat. Evonik hat ebenfalls gesagt, dass es ihr Rückzug aus dem Sponsoring für den Stadionneubau kein Ausstieg für immer sein müsse. Jetzt hat aber auch Evonik zunächst einmal die Weltwirtschaftskrise erfasst, so dass die zugesagten Gelder fürs Stadion eingefroren wurden.
Jawattdenn.de:
In den letzten Jahren ist der Eindruck entstanden, dass der Verein eine Bühne für parteipolitischen Streit geworden ist.
Christian Hülsmann:
Ich weiß, dass einige Leute erzählen, wenn wir den Verein unter Hempelmann so unterstützt hätten wie jetzt, wäre RWE viel weiter. Das ist vollkommener Blödsinn. Ich habe unzählige Gespräche mit Herrn Hempelmann geführt. Den einzigen Vorwurf den ich mir gefallen lasse, ist, dass ich nicht schon früher die angeblichen Zusagen von Sponsoren verlangt habe. Ich habe zusammen mit Herrn Hempelmann die 7,5 Millionen, die die Stadt bereits 2004 als Beteiligung für den Stadionbau zugesagt hat, bei der Bezirksregierung „freigeschlagen“. Wenn damals schon gesagt worden wäre, dass nicht in ausreichendem Maße Sponsoren da sind, hätte man schon viel früher nach Lösungen suchen können. Aber zu der Zeit wurden Stadien eher durch Vereine und nicht durch Städte finanziert, so dass wir keine Veranlassung hatten, uns in größerem Umfang zu bemühen. Dann verschwanden mit jedem Abstieg die Pläne immer wieder in der Schublade. Auch das war ein Fehler. Das Stadion hätte unabhängig von der Liga kommen müssen, das hat Herr Hempelmann später selbst eingeräumt. Die Ratsbeschlüsse zum Stadion sind trotz aller Unterschiede in Einzelfragen mit einer breiten Mehrheit von ganz links bis ganz rechts durchgekommen. Und das ist nach meinem Eindruck heute nicht viel anders.
Es wird versucht, einen Dissens zwischen dem CDU-Mann Hülsmann und dem SPD-Mann Hempelmann zu konstruieren. Aber den hat es nie gegeben. Seit 1999, als ich Büroleiter von Herrn Reiniger wurde, haben wir viele intensive Gespräche geführt. Ich habe Hempelmann bei jeder Gelegenheit unterstützt. Auch beim Sponsoring habe ich mich immer wieder bemüht, wenn das böse Wort Insolvenz mal wieder im Raum stand. Die Versuche, daraus eine parteipolitische Geschichte zu konstruieren, sind absurd. Es gibt auch keinen Dissens zwischen Oberbürgermeister Paß und mir. Der Oberbürgermeister hat sich unmittelbar nach seiner Wahl mit mir im Stadion fotografieren lassen und auch einen Gastbeitrag in der Kurzen Fuffzehn geschrieben. Es gibt also keine Probleme zwischen ihm und mir und die hat es auch – bis auf einige verbale Scharmützel im Rat – in der eigentlichen Sache nie gegeben.
Jawattdenn.de:
Im Protokoll der Ratssitzung, als es um den Stadionbeschluss ging, liest sich das ganz anders. Paß und Sie haben sich ziemlich gefetzt.
Christian Hülsmann:
Die Situation war folgende: In der Amtszeit von OB Reiniger ist der marode Saalbau erneuert worden, die Volkshochschule und die Lichtburg sind gemacht worden, der Kruppgürtel ist ebenfalls mit Unterstützung der Stadt auf den Weg gebracht worden und noch vieles andere mehr. Das Stadion war das einzige noch offene größere Projekt. Da wünscht man sich als Herausforderer kurz vor der Kommunalwahl natürlich, dass der politische Gegner da nicht auch noch brilliert. Deswegen versucht man, das dann kritisch darzustellen. Das muss man unter Wahlkampf abtun. Ich habe heftig dagegen gehalten, mich auch öffentlich ein bisschen mehr empört, als ich eigentlich war. Das ist das politische Geschäft, da ist man auch manchmal Schauspieler. Mich haben aber alle Parteien bis zu den Linken in Schutz genommen und Herrn Paß heftig kritisiert. Deswegen konnte ich mit dieser Sitzung gut leben. Schließlich hat sie auch das erwünschte Ergebnis gebracht. Ich sage es noch einmal: Die parteipolitischen Probleme gibt es in der Sache nicht!
Im Gegenteil: Vor der Kommunalwahl 2004 hat man vonseiten der SPD Herrn Hempelmann vorgehalten, dass er wahrscheinlich so weit gehen würde, sogar den Spatenstich mit Herrn Reiniger zu machen. Darauf sagte er, ihm sei egal, mit wem er den Spatenstich mache, solange das Stadion kommt.
Jawattdenn.de:
Wie sind Sie mit der aktuellen Vereinsführung zufrieden? Macht der Verein wie gefordert seine „Hausaufgaben“?
Christian Hülsmann:
Ich habe den Eindruck, dass durch die Hereinnahme von Thomas Hermes in den Vorstand, durch den neuen Geschäftsführer Kai Stütz und Dirk Buttler als Berater frischer Wind auch zum Thema Sparen in den Verein gekommen ist. Die Zeichen der Zeit sind erkannt worden und man prüft bei jedem Ansatz, wo man abspecken kann, abspecken wird. Anders geht es auch nicht. Ein „Weiter so und wenn es nicht klappt, wird die Stadt schon helfen“, wird es nicht mehr geben. Die Stadt wird ihr Engagement nicht erhöhen. Deswegen erwarten wir absolute Ausgabedisziplin. Ich habe da in den letzten Wochen einen sehr viel besseren Eindruck bekommen und gesehen, an welche Dinge man jetzt wirklich drangeht. Zum Beispiel die Verpflegung im VIP-Zelt. Jetzt gibt es Currywurst und Buletten. Das halte ich aber auch für völlig okay.
Jawattdenn.de:
Wie harmonieren aus ihrer Sicht Vorstand und Aufsichtsrat? Es gab ja deutliche Meinungsverschiedenheiten über die Trennung von Thomas Strunz. Das ist in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen. Man hatte den Eindruck, hier streiten sich nicht Vorstand und Aufsichtsrat, sondern Stadt und Verein.
Christian Hülsmann:
Die Trennung von Herrn Strunz wurde kommunikativ nicht optimal gelöst. Das war eine Kontroverse zwischen Teilen des Aufsichtsrates und Vorstand. Ich persönlich habe den Entschluss nachvollziehen können und meine sogar, dass man den Schritt schon nach der Niederlage gegen Speldorf hätte machen müssen.
Jawattdenn.de:
Aber Herr Bückemeyer wird allgemein als Statthalter der Stadt im Aufsichtsrat angesehen und Herr Strunz galt ebenfalls als „Stadtmann“, spätestens seit dem Beratervertrag mit der GVE.
Christian Hülsmann:
Ich habe sogar das Gerücht gehört, dass der Vorstand Herrn Strunz nach dem Spiel gegen Speldorf schassen wollte. Dann soll ich vehement in einem Geheimgespräch in Düsseldorf dagegen agitiert haben. Ich weiß nur von keinem Geheimgespräch, schon gar nicht in Düsseldorf und ich habe Herrn Strunz definitiv nicht gerettet. Ich werde mich auch in Zukunft nicht in originäre Belange des Vereins einmischen. Ich bin ein normaler Fan, der sich mittlerweile seit fünfzig Jahren auf Fußballplätzen herumtreibt. Ich glaube, ein wenig vom Fußball zu verstehen, würde mir aber nie anmaßen, einen Spieler, nachdem ich ihn einmal gesehen habe, kompetent zu bewerten. Ich will mich da heraushalten und wir haben uns auch als Stadt in der Vergangenheit nicht eingemischt. Wir haben dem Verein immer einen großen Vertrauensvorschuss gegeben, auch was die Verwendung unserer Gelder anging. Man muss dann aber auch Verständnis für die Politik aufbringen, die nun eine Gegenleistung verlangt. Das ist auch für externe Sponsoren wichtig. Ich habe aber den Eindruck, dass nun – auch mit der Verpflichtung der Herren Stütz und Butler – ernsthaft daran gearbeitet wird, die Kosten zu minimieren.
Jawattdenn.de:
Die Stadt selbst hat aber doch den Eindruck erweckt, dass sie Einfluss nimmt, indem sie z.B. Rainer Balensiefer bei RWE installiert hat.
Christian Hülsmann:
Balensiefer war als kaufmännischer Geschäftsführer vorgesehen. Keiner von uns war für die sportlichen Dinge verantwortlich. Ich habe auch in der Presse gelesen, dass der Verein nichts mehr zu sagen habe, das ist aber Blödsinn. Der Verein hat einen Vorstand und dieser Vorstand ist für den Verein zuständig. Da redet ihm keiner von der Stadt rein. Wir haben einen Großteil der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesetzt, in denen sich der Verein gut hätte bewegen können. Das Ergebnis ist nicht befriedigend. Der Verein hat sportlich seine Ziele nicht erreicht, um es mal sehr milde auszudrücken. Er hat ebenso wenig die Ziele erreicht, was gutes Wirtschaften angeht. Noch so einen großen Einsatz wird es für den Verein nicht geben. Der Verein muss jetzt die Lizenz bekommen. Die anderen Hausaufgaben bemühen wir uns zu machen, nicht nur für das Stadion, sondern auch für alle anderen Projekte.
Was ich in den letzten Jahren für diesen Verein an Zeit aufgewandt habe, hätte ich mir nicht erlauben dürfen, wenn ich nicht ein so gut funktionierendes Büro hätte. Was ich für den Verein aufgewandt und wie viel Ärger ich mir für diesen Verein eingehandelt habe, ist in meiner 40-jährigen Laufbahn auch einmalig. Deswegen habe ich keine Lust, mich in eine Position drängen zu lassen, in der ich auch noch für die sportliche und wirtschaftliche Misere verantwortlich sein soll. Wenn es den Kollegen Hillebrand (GVE-Geschäftsführer, d. Red.) und mich nicht gegeben hätte, dann wäre von dem Projekt Stadion heute nicht mehr viel übrig. Dafür müssen wir uns aber auch noch oft rechtfertigen und das hat viel mit dem Verein zu tun. Würde RWE in der Zweiten Liga spielen, hätten wir viel weniger Stress und Rechtfertigungszwang.
Jawattdenn.de:
Viele Leute halten RWE aber ohnehin für einen „Asi-Verein“ und würden das Geld lieber in Kindergärten oder Schulen investiert sehen.
Christian Hülsmann:
Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge! Man muss Investitionen und laufende Kosten unterscheiden. Gerade in Kindergärten und Schulen haben wir in den letzten zehn Jahren viel, viel Geld gesteckt; allein in die Sanierung der Schulen 300 Millionen Euro. Das ist mehr als zwölfmal so viel wie für ein neues Stadion. Aber es wird für die Politik schwierig werden, das alles in Zeiten, in denen es eng wird, zu erklären. Deswegen sind solche Aktionen von Verein und Fans wichtig. Die Aktion zur Eröffnung des neuen Folkwang-Museums fand ich sehr gelungen. Sie war auffällig und kreativ. Die Unterschriftenaktion ist ebenfalls sehr vorbildlich verlaufen. Jetzt darf man den Gegnern nicht in die Hand spielen. Es ist gut, dass aufgerufen wird, diszipliniert zu Werke zu gehen. Die Rot-Weiss-Familie ist groß. Man sieht das auf der Tribüne: Da läuft alles herum, wichtige Banker genauso wie Hartz IV-Empfänger. Das macht ja den Reiz des Fußballs aus.
Jetzt es wichtig, dass alle wissen: Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, die dieses Stadion haben will. Deswegen müssen am 20. März viele Menschen kommen. Wenn da nur hundert mitlaufen, wird das eine peinliche Nummer. Das muss eine Veranstaltung werden, wo der Willy-Brandt-Platz rot-weiss wird.
Jawattdenn.de:
Beim Stichwort Fan-Engagement noch eine Frage: Bei Union Berlin haben die Fans selbst ihr Stadion gebaut. Was würden sie denn davon halten?
Christian Hülsmann:
Ich finde diese Aktion bemerkenswert und schließe nicht aus, dass wir auf so etwas vielleicht zurückgreifen müssen. Das ist natürlich ein Stadion, was nur bis zu einem gewissen Punkt ausreicht. Aber trotzdem großartig, was die Leute dort geleistet haben.
Jawattdenn.de:
Das könnte also ein möglicher Plan B sein?
Christian Hülsmann:
Eine Überlegung zumindest. Es war schon eine sehr heftige Aktion dort in Köpenick. Ob das auf Essen und andere Städte zu übertragen ist, wage ich aber zu bezweifeln.
Jawattdenn.de:
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sieht es in einem Jahr sportlich und mit dem Stadion an der Hafenstraße aus?
Christian Hülsmann:
Ich hoffe auf das Stadion. Ich höre im Oktober auf und kann nicht in Pension gehen, ohne dass das Stadion auf Kiel gelegt ist. Das ist mein ganz persönlicher Ehrgeiz, nicht nur als Stadtdirektor, sondern auch als RWE-Fan. Die Fans, die dem Verein seit vielen Jahren die Treue halten, haben das verdient. Es ist ein Beitrag zur sozialen Symmetrie in dieser Stadt. Und ja, auch das Stadion ist ein Stück Kulturhauptstadt.
Sportlich wird es sehr schwierig werden, wenn es dabei bleibt, dass nur ein Verein in die Dritte Liga aufsteigen kann. Dieses Spiel gegen Lübeck damals hätte nie verloren gehen dürfen. Das ist das große Dilemma. Aber es bringt nichts, den Aufstieg mit aller Macht und einem riesigen Aufwand zu erzwingen. Es muss kontinuierlich mit jungen Spielern gearbeitet werden, die auch mal ein paar Jahre gehalten werden. Man hat hier zu sehr nach den Sternen gegriffen, weil man sich als Pseudobundesligist fühlte und Spieler gekauft, die zwar teuer waren, aber oft nicht die entsprechenden Leistungen brachten. Man sollte sich in aller Ruhe, kontinuierlich und wirtschaftlich gesund in die höheren Etagen hinaufarbeiten. Für den sportlichen Aufstieg muss man sich möglicherweise einen langen Atem besorgen.
Jawattdenn.de:
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!
Das Interview führten Thomas Mollen und Hendrik Stürznickel