"Absolut entspannt" - Interview mit Michael Welling 2012 - Teil III
Jawattdenn.de:
Früher war RWE das ungeliebte Kind beim DFB, mit einem schlechten Ruf bezüglich
der Fans und der unsoliden Vereinsarbeit. Wie würden Sie das aktuelle Image von
Rot-Weiss Essen bei den Verbänden einschätzen?
Dr. Welling:
Die Frage ist, ob man bei den Verbänden überhaupt ein Image braucht, ob das
überhaupt Kategorien sind, in denen die Verantwortlichen beim DFB oder bei der
DFL denken. Das kann ich nicht beurteilen. Wer aber bei der Grundsteinlegung
zum DFB-Fußballmuseum in Dortmund war, der hat wahrgenommen, dass der erste
genannte Verein Rot-Weiss Essen war. Hannelore Kraft hat ihn nämlich genannt.
Auch im weiteren Verlauf ist immer wieder – mit positiven Konnotationen – der
Name Rot-Weiss Essen gefallen. Das zeigt schon, dass in den Köpfen von vielen
Fußballfans aber auch -funktionären RWE auch als Viertligist eine besondere
Stellung innehat, die sich aus der Historie und aus der besonderen
Konstellation speist, welche Personen für den Verein aktiv waren. Helmut Rahn
hat Deutschland zum Fußball-Weltmeister geschossen und ohne RWE und Helmut Rahn
– das sage ich manchmal augenzwinkernd – hätte es das Wirtschaftswunder nach
dem Krieg nicht gegeben. Möglicherweise hätten wir auch keine Wiedervereinigung
erlebt – Stichwort Gründungsmythos 1954! Wer weiß…
Jawattdenn.de:
Sie machen jetzt David Hasselhoff aber mächtig Konkurrenz….
Dr. Welling:
Ich möchte es zumindest so sagen: Die Bedeutung von Helmut Rahn für den
Gründungsmythos nach dem Krieg (Stichwort: „Wir sind wieder wer!“) ist
definitiv größer als die von David Hasselhoff für die Wiedervereinigung. Und an
Herbert Zimmermanns Ruf „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen!“ erinnert
man sich auch lieber als an „I`ve been looking for freedom“ – Ein schönes Stück
Zeitgeschichte vs. gruseligem Stück Musikgeschichte…. Das ist in den Köpfen von
Fußballdeutschland und sogar von der Fußballwelt, deswegen ist Rot-Weiss Essen
etwas Besonderes. Das ist bei den DFB- und DFL-Funktionären genauso wie unter
Fußballfans: RWE gehört einfach einer anderen Kategorie an Vereinen an. Mehr
erst mal nicht.
Dann ist es abhängig von der Perspektive: Bei der DFL ist es
etwas schwieriger, das ist der Zusammenschluss aller 36 Profivereine, die
Zusammensetzung ändert sich von Jahr zu Jahr. Dort ist sich jeder selbst der
Nächste und dort würde auch keiner über einen Aufstieg von RWE jubeln, denn das
würde jemanden in erster Linie einen Platz wegnehmen. Ich glaube aber, dass es
schon einige geben wird, denen Rot-Weiss lieber wäre als eine neue TSG
Hoffenheim, Red-Bull oder Viktoria Köln. Wir haben eine unglaubliche Fanschar,
das freut sicher viele Funktionäre. Nicht alle, aber viele. Wenn man montags im
Kicker in die Zuschauertabellen schaut, dann gibt es sogar in der Zweiten Liga
Vereine, die am Wochenende weniger Zuschauer hatten als wir. In der Dritten
Liga hatten vorletzte Woche sogar Bielefeld und Offenbach weniger Zuschauer als
wir. Und wir spielen zudem ohne gegnerische Fans. Das ist schon eine Wucht.
Was den DFB angeht glaube ich, dass diejenigen, die sich dort mit der
Lizenzierung beschäftigen, in den letzten Jahren registriert haben, dass
Rot-Weiss Essen ein verlässlicher Partner ist. Davon bin ich fest überzeugt,
denn bisher sind alle Prognosen, die wir eingereicht hatten, eingetroffen. Die
Thematik mit der Insolvenz war für die Lizenzierungs-Abteilung auch eine neue
Geschichte, und auch das haben wir, denke ich, sehr gut moderiert und
gestaltet. Natürlich müssen wir weiter daran arbeiten und weiterhin wie bisher
agieren.
Auch beim Thema „Wetten“ sind wir noch am selben Abend, an der wir von der
Sache erfahren hatten, auf den DFB zugegangen. Ich hatte mit Helmut Sandrock
telefoniert – pro aktiv! Auch das dürfte der DFB als vorbildliches Verhalten
zur Kenntnis genommen haben. Die Staatsanwaltschaft Bochum und die
Sonderermittlungskommission der Polizei lobten uns für den vorbildlichen Umgang
mit der Thematik. Vielleicht haben wir dadurch ein positives Image beim DFB. Ob
das nun besser oder schlechter ist als bei anderen Vereinen weiß ich nicht,
aber Vieles läuft jetzt definitiv anders als früher.
Jawattdenn.de:
Man munkelt, dass der Hendrik Bonmann, unser Torhüter der A-Jugend, bereits in
Schalke unterschrieben hat. Ist an den Gerüchten etwas dran?
Dr. Welling:
Man munkelt ja viel, aber einen Vertrag in der verbotenen Stadt hat er
definitiv noch nicht unterschrieben. Das wissen wir von ihm selbst und von
seinem Berater. Wir würden uns freuen, wenn wir mit ihm verlängern könnten,
aber auch hier muss man erst mal sehen, wie sich der Junge weiterentwickelt und
welche Möglichkeiten er hat. Wir sind im Dialog.
Jawattdenn.de:
Häufig hängen Verträge mit jungen Spielern auch davon ab, was man ihnen neben
der sportlichen Perspektive noch anbieten kann. Wie geht es perspektivisch bei
Rot-Weiss weiter, welche sind die nächsten Schritte unter der Voraussetzung,
dass wir im nächsten Jahr wieder in der Regionalliga spielen?
Dr. Welling:
Auch wenn es langweilig wird – wir müssen uns zuerst zusammensetzen und
ausloten, welche finanziellen Möglichkeiten wir haben.
Jawattdenn.de:
Im Gegensatz zum letzten Jahr sind nun aber schon einige finanzielle Dinge
geklärt, so dass man doch früher und besser planen können müsste?
Dr. Welling:
Ja, das ist so. Während wir in den letzten Jahren im Juni/Juli kaum
unterschriebene Verträge hatten, ist das in diesem Jahr anders. Wir haben viele
mehrjährige Verträge geschlossen mit Partnern, so dass wir heute schon wissen,
mit welcher Basis an Sponsoring-Einnahmen wir kalkulieren können. Das hilft uns
in der Planung und reduziert den Unsicherheitsfaktor. Gespräche mit weiteren
Partnern können wir nun auch viel gezielter führen, weil wir nicht die große
Notwendigkeit spüren, zu einem guten Abschluss zu kommen. Bei einigen wenigen
größeren Partnern mit auslaufendem Vertrag können wir frühzeitig sprechen und
schauen, was passiert.
Im Rahmen der Lizenzierung werden wir uns wie gesagt zusammensetzten und
überlegen, wo wir stehen, was wir erwarten und was und wie viel wir in die
Mannschaft und in anderen Bereiche investieren können. Und dann schauen wir
mal! Ich bin aber davon überzeugt, dass wir uns wirtschaftlich weiter
verbessern können und unsere Mannschaft weiterentwickeln werden. Das, was wir
seit zweieinhalb Jahren predigen, nämlich dass wir eine Mannschaft schrittweise
verbessern wollen, ist meines Erachtens bislang auch immer so gewesen.
Unabhängig von der Tabellensituation glaube ich, dass wir in diesem Jahr in der
Breite deutlich besser aufgestellt sind als im letzten. Vielleicht ist es nicht
so, dass dieses Jahr ein Heilsbringer dazu gekommen ist, sondern wir haben
durch die Bank Spieler verpflichtet, die Druck auf die erste Elf ausüben oder
sogar zu dieser gehören.
Das erhöht die Trainingsqualität sowie die Flexibilität, wir können mit anderen
Spielertypen auf Gegner oder auf Ausfälle reagieren. Roberto Guirino, Vincent Wagner oder Maik Rodenberg konnten wir
ersetzen, ohne dass ein Qualitätsverlust spürbar wurde. Insbesondere bei den
Innenverteidigern müssen wir gar nicht beklagen, dass Sebastian Jansen und
Thomas Denker, der letztes Jahr fast 30 Spiele bestritten hat und der Gewinner
der Saison war, noch nicht fit sind. Dass ein Suat Tokat ausfällt ist natürlich
schmerzhaft, aber wir können das kompensieren. Das war in der vergangenen
Saison nicht möglich, der Leistungsunterschied innerhalb des Kaders war
deutlich größer. Ich glaube, dass wir jetzt einen 26-Mann-Kader haben, aus dem
jeder nahezu ohne Leistungsabfall zu den Top-11 gehören kann, und das ist gut!
Im nächsten Jahr geht es natürlich wieder darum, die Mannschaft weiter zu
entwickeln.
Vielleicht werden einige Spieler gehen können, müssen oder dürfen, weil ein
höherklassiger Verein auf sie aufmerksam wird, ich bin davon überzeugt, dass
wir Abgänge kompensieren und die Mannschaft verbessern können, und zwar ohne einen
großen Umbruch vollziehen zu müssen! Der Umbruch in diesem Jahr war größer als
wir es erwartet hatten durch die Wett-Thematik mit Kaya, Jasmund und Lehmann.
Deren Positionen hatten wir nicht als Dispositionen gesehen. Der Umbruch wird
im nächsten Jahr wahrscheinlich wieder geringer ausfallen. Selbst wenn wir mit
der gleichen Truppe weiterspielen würden, wären wir, davon bin ich überzeugt,
in Zukunft deutlich besser. Wenn man die unglaublichen Entwicklungen
beispielsweise von Guirino, Grummel, Koep, Sawin oder Avci sieht, dann erkennt
man, dass wir in allen Mannschaftsteilen Spieler haben, die sich individuell
noch weiter verbessern können und werden, kaum einer ist an der Leistungsgrenze
angekommen.
Jawattdenn.de:
Angenommen, in diesem Jahr kommt es schon zum „Unfall Aufstieg“. Was würden Sie
der Truppe in der Dritten Liga zutrauen?
Dr. Welling:
Überspitzt gesagt haben wir vorletzte Woche in Köln gegen eine
Zweitliga-Mannschaft spielerisch dominiert und gewonnen. Da mag Heiko Scholz
noch so sehr betonen, dass er einen Regionalliga-Aufsteiger trainiert – vor der
Saison hat er noch erklärt, dass die Viktoria der Favorit im Kampf um den
Aufstieg ist. Viktoria hat von den Einzelspielern her mit Wunderlich, Schlösser
oder Bouhaddouz richtig gute Jungs und eine unglaubliche Qualität, sie verdienen
auch das Vier- oder Fünffache von dem, was unsere Jungs erhalten. Wenn die
Gehaltszahl von Federico, die ich gehört habe, auch nur einigermaßen stimmt,
dann verdient allein er an Grundgehalt 50% von dem, was wir für den gesamten
26-Mann-Kader an Grundgehalt ausgeben. Köln hat eine Zweitligatruppe, und das
ist auch okay, wenn die diese finanziellen Möglichkeiten haben, dann sollen sie
diese auch nutzen.
Sollten wir aufsteigen, um auf die Frage zurückzukommen, dann würden wir das
extrem genießen und hier eine richtig geile Aufstiegsparty veranstalten. Und
anschließend würden wir losrennen und den Vereinen in der Dritten Liga
sportlich Ärger bereiten. Das sind aber Fragen, die stellen sich uns zurzeit
nicht.
Jawattdenn.de:
Der wahrscheinlichere Fall ist ein Verbleib in der Regionalliga. Dann bleibt
auch das verdammt schmale Aufstiegs-Nadelöhr zur Dritten Liga. Auch wenn die
Richtung und Entwicklung im Verein absolut positiv verlaufen, die Mannschaft
erfolgreich spielt und in unbestimmter Zukunft Meister der Regionalliga West
werden sollte – ein schwaches Spiel in der Relegation und die Arbeit einer
gesamten Saison ist dahin. Man muss sich also im schlimmsten Fall auf mehrere
Jahre vierte Liga einstellen, denn die ökonomischen Grenzen werden auch bald
erreicht sein. Man kann in dieser Liga den Zuschauerschnitt und die
Sponsoreneinnahmen nicht beliebig wachsen lassen…
Dr. Welling:
Vielleicht. Viele werden schon ungeduldig und beschreien, dass wir unbedingt
schnell hoch müssen, weil sonst alles zusammenbricht. Ich bin fest davon
überzeugt, dass es nicht zum Zusammenbruch kommen wird.
Jawattdenn.de:
Sind es eigentlich Regionalliga-Vereinsvertreter gewesen, die diese unsägliche
Aufstiegsregelung mitbeschlossen haben? Und gibt es Bewegungen für eine Reform
der Reform?
Dr. Welling:
Es waren auch Vereinsvertreter dabei, das war noch vor meiner Zeit. Der
DFB-Bundestag, auf dem das beschlossen wurde, fand ja hier in Essen statt. Er
setzt sich aus Verbands- und Vereinsvertretern zusammen. Dort stimmen
allerdings auch die Vereinsvertreter der Erst-, Zweit- und Drittligisten mit
ab, diese nehmen anderen Positionen und Argumente ein. Für diese Vertreter ist
die Regelung völlig in Ordnung…
Jawattdenn.de:
… vor allem, weil durch die Regionalligareform auch viele Zweitvertretungen von
Zweitligavereinen „hochgespült“ worden sind…
Dr. Welling:
Das ist ja der schlechte Gag an der Sache und was mich auch ärgert. Die
Besonderheit dieser Reform wurde immer damit begründet, dass die Anzahl der
Zweitvertretungen auf sieben pro Liga limitiert ist. Das als Besonderheit zu
verkaufen ist Quatsch! Es gibt 36 Erst- und Zweitligavereine und in fünf
Regionalligen gibt es Platz für sieben mal fünf, also 35 Zweitvertretungen
dieser Vereine. Jeder Bundesligist kann also seine zweite Mannschaft ohne
Probleme in der Regionalliga unterbringen, zumal die Dritte Liga auch für zweite
Mannschaften geöffnet ist. Dazu kommt, dass es auf einmal im Westen heißt, man
könne doch nicht Schalke II in den Norden oder Köln II in den Süden schicken.
Ja, was denn jetzt?!
Erstens: Das muss ich mir vorher überlegen, ob da etwas nicht passt!
Zweitens: Wenn es sieben Plätze für Zweitvertretungen gibt, dann ist es eben
so, dass eine achte Mannschaft die Liga wechseln muss. Ganz einfache Kiste!
Das finde ich auf eine Art bigott. Die Reform ist weder zu Ende gedacht, noch
zu Ende argumentiert. Es wird aber auch nicht offen diskutiert.
Das alles gilt nun unabhängig davon, ob ich generell etwas für oder gegen
Zweitmannschaften habe, denn auch diesbezüglich muss man vorsichtig sein. Wir
machen mit unserer zweiten Mannschaft das gleiche, auch wir schicken Spieler
von oben runter, sei es, weil diese Spielpraxis sammeln sollen oder weil sie
langsam nach einer Verletzung wieder ran geführt werden, und auch wir wollen
mit der Zwoten so weit wie möglich aufsteigen.
Es geht also nicht gegen
Zweitvertretungen, sondern um das grundlegende Thema, wie man mit dem
Reformthema umgeht. Das stört mich nicht nur als Vereinsvertreter von Rot-Weiss
Essen, sondern generell als Fußballer, als Vertreter des Sports. Für mich ist
es ein Unding, dass der Meister nicht direkt aufsteigt. Theoretisch ist es
möglich, dass ich 38 Spiele in der Saison ohne ein einziges Gegentor zu
erhalten gewinne und in der Relegation mit nur einem Gegentor zweimal
unentschieden spiele und am Ende nicht aufsteige. Wie hohl ist das? Das
widerspricht der Idee des Sports und kann nicht funktionieren.
Um auf die Frage zurückzukommen: Die Regionalliga ist heterogen
zusammengesetzt, man kann die Regionalligavereine grob in drei Gruppen
einteilen: Eine Gruppe ambitionierter Vereine, die gerne aufsteigen wollen,
eine Gruppe der Zweitvertretungen und
eine Gruppe mit Vereinen wie Kray und Hüls, für die Regionalliga das
Nonplusultra ist und die es geil finden, hier spielen zu dürfen. Diese Gruppe
interessiert die Aufstiegsregelung kaum. Die Interessen dieser Gruppen sind
komplett divergent, deshalb gibt es auch keine offensive Bewegung, die
Regionalligareform zu überdenken. Ich hoffe, dass die Vernunft der Beteiligten
im Sinne des Sports siegen wird. Wenn man intern mit Verbandsvertretern
spricht, heißt es meist „Ja, das ist keine gute Regelung“, aber öffentlich
formuliert das niemand.
Jawattdenn.de:
Der NRW-Innenminister Jäger hat kürzlich als Konsequenz aus den Vorfällen beim
Derby Dortmund gegen Schalke die Vereine aufgefordert, mehr Verantwortung für
ihre gewaltbereiten Fans zu übernehmen. Die Polizei beschwert sich über eine
„konspirative Anreise“ und die DFL droht mit dem Verlust von Privilegien, wenn
man beim Thema Sicherheit nicht mitzieht. Insgesamt hat man als Fußballfan
zurzeit das Gefühl, von allen Seiten beschossen zu werden. Wie steht Rot-Weiss
Essen zu diesem Thema?
Dr. Welling:
Hier muss ich ein bisschen vorsichtig sein, auch wenn das nicht meine Art ist.
Was ich jetzt sage, ist meine persönliche Auffassung und keine Vereinsmeinung.
Wir müssten intern erst in einen intensiven Dialog starten, um sich als Verein
zu positionieren. Dieser Dialog hat bei uns noch nicht stattgefunden, da wir
nicht unmittelbar vom Sicherheitskodex betroffen sind. Wir sind nicht
gefordert, eine Stellungnahme dazu abzugeben und das ist etwas, das ich
kritisiere. Da es auch um das Verhältnis zwischen Vereinen, Fans, Verband und
Polizei geht, betrifft es Dritt- und Viertligisten genauso. Wir haben hier 8.500
Leute im Schnitt, damit ist das Thema für uns noch relevanter als für den einen
oder anderen Zweitligisten. Auch Vereine wie Preußen Münster oder Offenbach
müssten involviert werden.
Zudem ist es alles andere als glücklich, auch wenn Herr Peters das aus
nachvollziehbaren Gründen anders darstellt, dass die DFL in einem Gremium ein
Papier ohne jegliche Beteiligung der Fanprojekte ausarbeitet. Diejenigen, die
tagtäglich damit zu tun haben, sind also überhaupt nicht involviert gewesen.
Man muss das ganze im Kontext sehen: Vor zwei Jahren gab es noch einen Dialog
zwischen Fans und DFB, um die Möglichkeiten zur Nutzung von Pyrotechnik
auszuloten. Die Gespräche wurden dann seitens des DFB abgebrochen – und auf
einmal kommt so ein Papier wie der Sicherheitskodex. Von der gesamten Art und
Weise finde ich das – unabhängig vom Inhalt – sehr unglücklich. Diese
Vorgehensweise kommt bei den Leuten natürlich nicht an. Das muss man cleverer
machen und besser gestalten.
Auch die Diskussion über dieses Thema finde ich völlig indiskutabel, da es sich
wegen der Komplexität nicht um ein mediales Thema handelt. Viel zu viele Leute
melden sich jetzt überschrifts- und aufmerksamkeitsheischend zu Wort. Allein
bei Verallgemeinerungen wie „Die Ultras…“ bekomme ich schon einen Kotzkrampf!
Ultras als homogene Gruppe zu begreifen zeugt einfach von mangelnder Themenkenntnis.
Es gibt Stadionbesucher, die problematisch sind – ja! Aber die Gruppe der Stadionbesucher
ist nicht homogenen, allein „die Ultras“ sind keine homogene Gruppe. Weder
zwischen den Vereinen noch bei einzelnen Vereinen und nicht alle Fans, die als
„Problemfans“ charakterisiert werden, zählen zu den „Ultras“. Inhaltlich muss
man mit Blick auf das Papier differenzieren zwischen prozessualen, technischen
und präventiven Dingen, und auch diese muss man wiederum sehr differenziert
betrachten. Viele Dinge aus dem technischen Bereich sind gängige Praxis, einige
gehen aber darüber hinaus. Darüber kann und sollte man diskutieren und auch die
Frage klären, ob bestimmte Dinge überhaupt aus rechtlicher Sicht einfach
umsetzbar sind.
Stichwort Fan-Charta: Jeder Verein spricht sich gegen Rassismus und
Diskriminierung aus, das muss man nicht groß thematisieren, sondern als Verein entsprechend
agieren, prophylaktisch wirken und bei Verstößen reagieren – fertig! Bei uns
steht das sogar in der Satzung. Ich hoffe auch, dass sich jede Fangruppe aktiv
dagegen ausspricht und halte dies für Fans von Rot-Weiss Essen eben
selbstverständlich, wenn ich den Verein wirklich unterstützen will. Beim Thema
Gewalt bewegen wir uns am Boden bestehender Gesetze: Natürlich gehört Gewalt
nicht in das Stadion, Gewalt gehört auch nicht in die Kneipe, nicht auf einen
Kindergeburtstag und auch nicht auf ein Schützenfest. Gewalt ist einfach
indiskutabel. Aber dafür gibt es Gesetze, die das regeln, dafür brauche ich
keine Fan-Charta. Erst recht nicht, wenn ich bei Verstößen mit
sippenhaftartigen Konsequenzen reagiere und ganze Gruppierungen in die Pflicht
nehme, weil sich einzelne Mitglieder falsch verhalten haben. Ich habe da ein
anderes Rechtsstaatverständnis.
Wir reden hier auch nicht nur über fußballspezifische, sondern auch über
gesellschaftliche Probleme, die sich beim Fußball zeigen. Von daher ist der
Fußball zwar gefordert, aber zusammen mit allen gesellschaftlichen Gruppen.
Deshalb ist Sicherheit ebenfalls ein ganz diffiziles Thema.
Auch einige Fangruppen verhalten sich nicht gut. Es gibt Leute, die zum Fußball
gehen, um sich auf die Nase zu hauen. Dafür habe ich weder beim Fußball, noch
beim Schützenfest, noch in der Disco Verständnis. Das ist Balzgehabe,
Kindergartenverhalten und testosterongesteuerte Scheiße! Genauso gibt es eben
leider auch Rassisten und andere Arschlöcher, da haben wir bei Rot-Weiss keinen
Bock drauf, die sollen abhauen. Dafür brauche ich aber wie gesagt keine
Fan-Charta, das ist in der Satzung und in der Stadionordnung geregelt. Das
stört mich persönlich sowohl aus intellektueller als auch aus kommunikativer
Sicht.
Jawattdenn.de:
Klare Worte! Das würde auch zu RWE passen.
Dr. Welling:
Apropos klare Worte: Ich habe hier einen Brief liegen von Herrn Korfmacher
wegen des „Fick-dich-DFB“-Plakats. Der Verband weist uns darauf hin, dass wir
dagegen vorgehen müssen – aber kein Wort fällt darüber, wie es dazu eigentlich
kommt und dass das durch die Reaktionen auf die Plakate der Düsseldorfer Fans
ausgelöst wurde. Natürlich ist das keine sehr eloquente Ausdrucksweise und man
könnte seinen Unmut sprachlich auch anders formulieren – aber wir reden hier
über Fußball! Ob das inhaltlich richtig ist, weiß ich nicht, aber es ist auch
freie Meinungsäußerung. Beleidigen darf ich niemanden, ob ich eine Person oder
eine Institution beleidige, ist meines Erachtens aber ein Unterschied. Auf den
Plakaten stand ja nicht „Fick dich Niersbach!“ Ich finde es kreativ, wie St. Pauli
das Problem gelöst hat: „Wir kaufen ein I wie Intoleranz und möchten lösen“
über dem F_ck d_ch DFB-Plakat – dennoch bleibt, dass ein Miteinander Sprechen
sicherlich richtiger wäre, dazu gehören aber eben mehrere Seiten.
Zudem: Natürlich eine direkte Sprache, gerade hier bei Rot-Weiss Essen! Nur
weil wir ein neues Stadion haben, muss nicht alles wie geleckt sein, wir sind
hier mitten im Pott, wir sind hier bei Rot-Weiss Essen. Und wenn man etwas
Scheiße findet, muss man das auch sagen dürfen. Ich glaube, dass Rot-Weiss
Essen weiterhin eine raue, klare und manchmal auch dreckige Sprache braucht.
Natürlich nicht beleidigend, aber trotzdem klar. Super asozialer RWE. Punkt!
Jawattdenn.de:
Stand im Brief etwas von finanziellen Konsequenzen?
Dr. Welling:
Nein, bislang nicht. Wir sind aufgefordert, unsere Fans darauf aufmerksam zu
machen. Das haben wir im Dialog gemacht, aber nicht nur als Reaktion auf den
Brief, sondern wir versuchen, stets im Dialog zu sein.
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